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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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weißem Saum. Wind ohne Unterlaß. Gabriel bemerkt, in Küstennähe sei das Wetter instabil, bisher hätten wir’s unüblich gut gehabt. Aber ich spüre den nahenden Herbst.
    Vielleicht endet mit diesem Sommer auch meine jahrelange Talfahrt? Das Zurückliegende einschließlich meiner Osttournee erscheint mir plötzlich wie etwas, das anderen passiert ist. Und gleich mir scheinen alle ruhig geworden. Sogar Robert wirkt froh. Er bot mir Hilfe an, als ich auf meinem Rechner ein Gedicht nicht fand, und grub binnen Minuten fünfzig verschwundene Gedichtteile, Verse und Variationen aus, die ich verloren geglaubt hatte. Dann versuchte er mir den Unterschied zwischen Ordner und Datei beizubringen, wie immer viel zu theoretisch, ich mußte ihm klarmachen, daß ich keine Theorie brauche, sondern bloß meine Gedichte wiederfinden will. Aber ich wurde nicht grob, und er ging unbeleidigt. Er versprach sogar, bei neuen Notfällen wieder zu helfen.
    Abends am Kamin ist die Stimmung besinnlich. Wichtigtuer Gideon ist abgereist. Dora, aus der Kur zurück, wirkt stiller, sogar belehrbar. Sie griff meine Sonderausgabe Pechbrand, die ich Video-Bernd leihen wollte, betastete sie und roch daran. » Ja, das typische Papierbleichmittel der DDR . Und ein stilloses Layout, der linke Rand zu schmal, die Seitennumerierung zu hoch, zu groß…« Bernd sagte: » Mir kommt es auf den Inhalt an.« Sie ließ ab.
    Die Bildenden löchern uns unersättlich. » Hanoi?« fragt Bernd, den ich zu schätzen gelernt habe. » Du warst in Vietnam?«
    Nein, Ha-Neu stand für Halle Neustadt. Ich seufze. Es tut mir gut. Kein Haß mehr auf die Vergangenheit. Ein Bedauern, daß wir nicht früher den Stöpsel gezogen haben. Aber deswegen alles auslöschen?
    » Warum lebt ihr so sehr in der Vergangenheit?« fragt Natascha. » Eben noch wolltet ihr die DDR unbedingt loswerden, und jetzt redet ihr von nichts anderem mehr.«
    Weil sie fort ist, herrliche Natascha, möchte ich sagen, schweige aber. Jeder ist seine Vergangenheit, aus ihr stammen seine Träume. Wenn sie plötzlich nicht mehr gilt, fehlt ihm was. » Nun, es fehlen uns konkret ziemlich wichtige Dinge«, sage ich laut. » Die Verlage sind weg. Die Lektoren sind weg. Die Leser sind weg, denn alle haben jetzt anderes zu tun als Lyrik zu lesen.«
    » Willst du die DDR zurück?« beharrt sie.
    » Nein, aber ich möchte was aus ihr gelernt haben. Warum hat sie sich so schnell aufgelöst, und auf diese Weise? Wenn sie im Nachhinein so läppisch wirkt, warum haben wir sie gefürchtet? Waren wir verblendet, haben wir was übersehen? Auch das Übersehene ist ein Teil von uns. War es ein höheres – oder tieferes – Gesetz, das des Alltags und des privaten Glücks?«
    » Und jetzt dreht und wendet ihr sie so lange, bis sie rosa aussieht?«
    Ich antworte nicht. Robert übernimmt. Ha-Neu, wie könnte ich das diesen Kindern erklären? Meine erste abschließbare Zweiraumwohnung mit Brause und WC , in den Fünfzigern. Plattenbauten für Leute, deren Dörfer dem Tagebau geopfert worden waren. Da viele Dörfler Bauern gewesen waren, fiel ihnen das Leben in Wohnblocks schwer. Fast jeder nahm ein oder zwei Tiere mit. Sie hielten Schweine in der Badewanne und Schafe auf dem Balkon, was zu verstopften Leitungen führte, zu Lärm und Gestank; Sie legten auf dem schmalen Sandstreifen zwischen Haus und Straße winzige Gärten an und kämpften mit dem Hausmeister, der andere Anweisungen hatte, um jeden Meter.
    Warum haben wir das alles so gehaßt?
    *
    » Habt ihr eure Stasi-Akten gelesen?« will Dora wissen.
    » Ich nicht«, sagt Robert.
    » Warum nicht?«
    » Mich interessiert nicht, was andere über mich denken.«
    Alle sehen ihn ungläubig an.
    Dora: » Möchtest du nicht wenigstens wissen, was du von anderen halten sollst?«
    » Ach, das erkannte man eigentlich von selbst. Sie kamen … einmal war’s ne Frau. Eine Stasi-Frau«, sagt er nachdenklich. » Sie kam unter einem Vorwand in die Wohnung, als meine Gattin in der Arbeit war. Unverkennbar, unverkannt. Es ergab sich so. Mir machte das nichts aus, weil ich nicht erpreßbar war: Wir führten eine offene Ehe. Es war eine Grenzerfahrung, ganz intensiv. Danach lagen wir erschöpft, entrückt, als ein Gewitter begann. Hörst du das Gewitter? fragte ich, und sie sagte: Das geht doch schon ne Stunde.«
    Ich schweige, da ich mit solchen Offenbarungen nicht konkurrieren will, aber das Thema setzt eine Serie schmerzlicher Gedanken frei. Was den Menschen zur Macht treibt, verstehe

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