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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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ich gerade noch, das ist die Ohnmacht, unser aller Teil. Aber warum der Mißbrauch? Bietet erst der den Kick? Mein langjähriger Spitzelfreund Hartwig etwa war der netteste Mensch. » Sei froh, daß ich es war, der dich bespitzelt hat«, erklärte er nach der Wende. » Denn ich habe dich beschützt.« Tatsächlich las ich bei Gauck, daß er immer wieder von Maßnahmen gegen mich abgeraten und Preise, sogar Auslandsreisen befürwortet hatte. Aber er schrieb häßliche Sachen, die ich nicht verzeihen kann. Meine sorbische Geliebte Irina etwa sei liederlich, ungepflegt, ihr Haushalt verwahrlost. Dabei stimmte das nicht. Sie war unbekümmert, nicht spießig. Eine körperlich unsaubere Frau hätte ich nie ertragen. So fällt die Beleidigung auf mich zurück. Und ich weiß nicht mal, wozu sie diente.
    Das Gespräch ist jetzt bei Maternas Gefängnisaufenthalt.
    Im Knast, lächelt die verwegene Materna, werde man grau.
    Das wollen alle genauer wissen.
    Sie wiederholt nachdenklich: grau, und beginnt, während sie in sich hineinhorcht, wie Perlmutt zu schimmern.
    Unsere Intellektuellen soufflieren: kein Anreiz, keine Stimulation. Alles, was einen Menschen belebe, Abwechslung, Aktion, Wahl und Wirksamkeit, sei ihm im Gefängnis genommen. Seine sozialen Nerven stürben ab.
    Lucies erstaunte Vogelblicke hüpfen von Redner zu Redner. Aber nein, sie habe das wörtlich gemeint. Das Gefängnis färbe ab. Man sei eingeschlossen von grauen Mauern und stecke in grauen Klamotten, die Fenster im Arbeitssaal seien weiß ausgemalt. Man werde innerlich von Grau durchtränkt. Die Haare fielen aus, die Periode bleibe weg, die Gesichter würden faltig, schon bei jungen Leuten. Die Frauen tätowierten sich, um überhaupt unterscheidbar zu sein. Später kratzten sie diese Tätowierungen wieder ab, aber vorsätzlich so, daß dicke Narben blieben. In einem Jahr Knast habe sie nur eine Frau gesehen, die schön geblieben sei. » Ein Republik-Flüchtling. Leider saß die nicht in meiner Zelle, aber man sah sich beim Hofgang, und diese Frau war auch in grauen Häftlingskleidern bunt. Ich wollte ihre Freundschaft unbedingt, und bekam sie. Wir steckten einander Zettelchen zu mit Gedichten. Als ob ich geahnt hätte, daß die Gedichte schreibt.«
    Lucie versinkt eine Weile in Gedanken, bevor sie ihre Erzählung fortsetzt.
    Sie sei nach der Verurteilung bei den Schwerverbrecherinnen untergebracht worden, glücklicherweise. Sie selbst muß lächeln bei diesem Wort. Sie wiederholt anmutig: glücklicherweise. Denn die mit leichten Strafen, die Diebinnen und Betrügerinnen und Prostituierten hätten im Knast ihre Bräuche von draußen beibehalten, Übungen in Drohung und Gewalt. Die Mörderinnen aber seien neugierig auf jeden Zugang gewesen, denn nur die Neuen konnten ihnen berichten, wie’s draußen aussah. Von einer lebendigen Erzählung waren sie fast mystisch ergriffen.
    Mörderinnen waren interessanter, weil sie ein leidenschaftliches Schicksal hatten: Gemordet hatten sie nur ihre Männer oder Liebhaber. Da gab es eine ungeheuer dicke Frau, deren Bauch in der Haft zu einer riesigen Hautfalte geworden war. Wenn die aufs Klo mußte, warf sie diesen Bauch mit den Händen hoch, er hing dann über ihren verschränkten Unterarmen. Wenn sie eine Hand hervorzog, sank er zwischen ihren Füßen zu Boden. Es war, als hätte sie sich unter ihrem eigenen Gewicht zur Ruhe gebracht. Immer noch brodelte es in ihr, nicht weil sie ihren Peiniger vergiftet hatte, sondern weil sie es so spät getan hatte.
    » Nur eine einzige leidenschaftslose Frau habe ich dort getroffen, eine ehemalige KZ -Oberaufseherin. Die wußte, sie würde keinen Tag ihres Lebens mehr in Freiheit verbringen, aber sie hielt perfekte Ordnung, ondulierte sich die weißen Haare und klöppelte Spitzendeckchen.
    » Klingt spannend«, sagt Natascha.
    » Ich empfehle es nicht.«
    Viele Jahre später, während der Wende, kam Lucie noch mal in eine kritische Situation: sie sah, wie in einem Innenhof Stasi-Akten verbrannt wurden. Mehrere Frauen organisierten vom Fleck weg eine Spontandemo, zu zwanzigst vielleicht, nur Frauen, die Männer hatten nichts gemerkt. Diese Frauen also rannten zum Rat des Bezirks und fragten sich zum Bürgermeister durch. Gerade tagten die Stadträte. Ein Büroangestellter warf sich ihnen in den Weg.
    Das war eines der Rätsel jener Tage: Dieser Angestellte, ein subalterner knittriger Mann, der wohl über Jahrzehnte im Amt nie eine Meinung geäußert hatte, verfügte plötzlich über

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