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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Pathos und rief: » Frauen, wozu? Wollt ihr alle ins Gefängnis?«
    » Ja!«, antwortete eine, » Wenn wir dafür die Möglichkeit bekommen, bestimmte Fragen zu stellen!«
    » Welche Fragen wollt ihr denn stellen?«
    » Na, ob er weiß, daß die Stasi ihre Akten verbrennt. Ob er weiß, was das bedeutet. Ob er nicht wenigstens einmal im Leben das Richtige tun will!«
    » Und was soll das Richtige sein?«
    » Das, was der Anstand ihm eingibt!«
    » Und was, glaubt ihr«, fragte der Mann schmerzlich, » wird er antworten?«
    Da schwiegen alle.
    » Und für diese Antwort wollt ihr ins Gefängnis?«
    Das habe ihr eingeleuchtet, sagt Lucie verlegen. Und sie habe sich stillschweigend abgeseilt.
    *
    Nachdem meine ersten Gedichte gedruckt worden waren, nahm mich mein Lehrer Frank Zisler beiseite. » In den nächsten Wochen werden möglicherweise zwei Genossen zu Besuch kommen. Sie werden unter einem Vorwand an deiner Tür stehen und sich nicht abschütteln lassen. Du mußt sie nicht einlassen; in diesem Stadium gilt noch die Unverletzlichkeit der Wohnung. Aber ich rate dir von Protest ab, denn sie kommen wieder. Vermutlich werden sie Manuskripte sehen wollen. Ich rate davon ab, es ihnen zu verwehren.«
    » Das ist ein Witz«, sagte ich. » Ich wohne zur Untermiete. Schon meine Wirtin läßt sie jederzeit rein.«
    » Sie brauchen deine Gegenwart.«
    » Warum?«
    » Damit du weißt, daß es sie gibt«, sagte er, » und daß sie dich im Auge haben. Nichts weiter.«
    Dummerweise erzählte ich das meiner Freundin Lotte, möglicherweise sogar mit einer Spur Angeberei: als ob das Interesse der Staatssicherheit meine Bedeutung als Dichter bestätige. Lotte aber hatte in der Hitlerzeit die Verhaftung eines Onkels erlebt und geriet in Panik. Sie besuchte mich nur noch tagsüber, wirkte auch da beklommen und ging jeweils rasch, als sei ich verbrannt. Ich kämpfte um sie, aus Bedürftigkeit. Die Stasi kam nicht. Erst nach drei Monaten schaffte ich es, Lotte wieder für eine Nacht dazubehalten.
    Meine Wirtin war eifersüchtig. Die Tür hatte ein Glasfenster, wir löschten das Licht und waren sehr leise, aber ich nutzte die Gelegenheit kräftig mit dem Hunger vieler Wochen, und Lotte wurde schwanger. Ich fragte einen älteren Kommilitonen nach einem Abtreibungsarzt. Der versprach, sich umzuhören, und meldete die Sache der Partei. Schon hatte ich ein Parteiverfahren am Hals. Ich mußte heiraten, um nicht kriminalisiert zu werden.
    Nach einem Jahr mit Baby in diesem Zimmerchen auf sechzehn Quadratmetern erwähnte mich zufällig der Kulturminister in einer Rede, die im Neuen Deutschland abgedruckt wurde. Ich ging mit der Zeitung zum Wohnungsamt, und eine Woche später hatten wir die Zweiraumwohnung in Ha-Neu. Noch ein paar Jahre später, als ich den Heinrich-Heine-Preis bekam, ging ich wieder mit der Zeitung zum Wohnungsamt, und auch da dauerte es nur wenige Tage, bis mir eine doppelt so große Wohnung im selben Block zugewiesen war.
    Dann kamen sie. Zislers Ankündigung hatte ich beinahe vergessen. Zwei Männer in Zivil stellten sich als Kriminalpolizisten vor und baten um meine Hilfe bei der Aufklärung von Diebstählen. » Dürfen wir reinkommen?«
    Ich blieb in der Tür stehen. » Was für Diebstähle?«
    » Es geht um das Verschwinden von Autoreifen. Nachts wurden auf dem Parkplatz Autos aufgebockt und die Reifen abmontiert.«
    » Gottseidank nicht meine«, witzelte ich.
    » Haben Sie etwas Verdächtiges beobachtet?«
    » Ich bin Schriftsteller. Ich stehe spät auf. Wenn ich aber an der Schreibmaschine sitze, sehe ich nicht aus dem Fenster.«
    Normale Polizisten wären gegangen. Diese gingen nicht. Jetzt fiel der Groschen. Du wirst sie nicht los. Meine Achseln wurden feucht.
    » Dürfen wir einen Blick aus Ihrem Fenster werfen?« Schon glitten sie, als wäre ich im Schrecken dünner geworden, an mir vorbei. Lotte war mit den Kindern unterwegs, auch das schienen sie zu wissen. Lotte, bei ihrer krankhaften Furcht vor Behörden, wäre in Ohnmacht gefallen oder schreiend durchs Treppenhaus gerannt. Was, wenn sie nach Hause käme? Fürchteten sie das nicht? Oder hatten sie Vorkehrungen getroffen? Sie blieben zwei Stunden, ohne Nervosität. Lotte erzählte später, eine Freundin habe sie in der Stadt aufgehalten.
    Die beiden Herren waren nicht aggressiv, nur penetrant. Sie plauderten über dies und jenes, das heißt – auch darauf hatte Zisler mich vorbereitet –, nur einer plauderte, der andere beobachtete mich. Ob ich in einem Verein sei?

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