Dicke Hose (German Edition)
schlecht sagen. Fakt ist nur, dass sie den Eindruck ihrer bevorstehenden Exekution vermittelt.
«Hilfe …», schafft sie gerade noch hervorzupressen, «also, äh … falls ihr Hilfe benötigt, komme ich sofort.»
Fast hat es den Eindruck, als wünsche sie sich eine Katastrophe herbei. Ihr Blick, den sie mir zuwirft, ehe sie am Arm ihres Chefs in Richtung Keller schreitet, ist mitleiderregend. Aber auch einen Tick vorwurfsvoll. Vermutlich legt sie mir nach wie vor zur Last, ihr das Eintreffen von Signor Micolucci verschwiegen zu haben. Aber woher hätte ich das wissen sollen?
So langsam verliere ich den Überblick über die Dinge, die ich tatsächlich verbockt habe, und jene, die man mir in die Schuhe geschoben hat. Für den ganzen Rest habe ich selbst keine Erklärung.
«Ihr habt offenbar noch nicht geredet», stellt Kai nüchtern fest und drückt mir einen Karton mit Lederhandschuhen in die Hand. «Die sollst du auspacken und in der Glasauslage des Tresens dekorieren.»
Warum nur haben die beiden sich nicht tatsächlich einen Passanten von der Straße geholt?
«Ich bin sehr wohl ein paar wichtige Dinge losgeworden. Dummerweise kam dann … mein … äh … Vater.» Ich gebe einen hysterischen Lacher von mir. «Eltern kommen ja bekanntlich immer in den unpassendsten Momenten.»
Offenbar sind Kais Eltern anders gestrickt. Denn gleich nachdem er mir einen Blick der Marke Ich-glaube-dir-kein-Wort zugeworfen hat, wechselt er das Thema: «Du musst dich noch umziehen. Ich hole dir schnell ein Outfit von unten.»
Ohne meine Bitte nach einer unauffälligen, wenn nicht gar geschmackvollen Kluft abzuwarten, schießt er in den Keller. Mechanisch wende ich mich dem Accessoire-Kleinkram zu und schaffe es gerade, ein paar Handschuhe aus einer viel zu kleinen Plastiktüte zu fummeln, da flitzt Kai bereits wieder auf mich zu.
Über seinem Arm hängt etwas. Leider etwas wenig. «Hast du auch alle Teile dabei?», erkundige ich mich misstrauisch.
Kai nickt. «Natürlich. Heute ist Freitag. Du weißt schon: easy casual .»
Easy was? «Und deshalb soll ich Shorts tragen?»
«Das sind keine Shorts, das ist eine crinkled twill Chino Bermuda .»
«Das ist eher eine Krankheit!»
«Nur, wenn du sie ohne Pullover trägst.»
Das soll doch wohl hoffentlich keine Anspielung auf meinen Oberkörper sein. Gestern war mir der Mann fast sympathisch, aber heute muss ich leider feststellen, dass er doch nur ein Typ mit schlechtem Geschmack, Spinnenfingern und Betonfrisur ist.
«Victoria hat dir das Teil rausgelegt. Meinetwegen hättest du die Jeans anlassen können. Steht dir echt gut.»
Okay, er ist mir doch sympathisch. Ein bisschen jedenfalls.
Während ich mich auf der Toilette umziehe, erwäge ich noch einmal die Möglichkeit, einfach abzuhauen. Ich könnte jetzt alles hinschmeißen, Feierabend machen und auf diese Art vielleicht wenigstens mein Leben retten. Wer weiß schon, was mich hier noch so alles erwartet? Vielleicht gehört Florians Vater tatsächlich der Camorra an und wartet nur auf einen Rangniederen, der mir in einem ungestörten Moment die Kehle durchtrennt?
Doch sosehr mich dieses Szenario auch beunruhigt – ich kann nicht abhauen. Auch wenn Victoria mir gehässigerweise diese zerknitterten Twilight-Shorts rausgesucht hat, werde ich sie nicht im Stich lassen. Ich stehe das hier durch.
Der kleine Hoffnungsschimmer, dass alles sich zum Guten wendet, lässt mich dann auch den Rest des Tages ohne Murren Kunden bedienen, Kartons auspacken und sogar drei weitere Taschen verkaufen.
Irgendwann tauchen Victoria und Signor Micolucci aus dem Keller wieder auf. Ihren Mienen ist nicht zu entnehmen, ob es Ärger oder vielleicht sogar Lob wegen der vielen Sonderbestellungen gab. In diesem Fall hätte man mich allerdings gerne mal dazurufen dürfen.
Zum Feierabend überrascht der Chef uns mit einem bestellten Essen von Hamburgs Edelitaliener «Da Enzo». Offenbar kennt Florians Vater Enzo persönlich, weswegen dieser seine warmen Antipasti und eine riesige Platte Nudeln mit Trüffeln persönlich vorbeibringt. Auch wenn ich Enzo aus tiefstem Herzen dankbar dafür bin, dass er Italiener und kein Japaner ist – und mir somit ein weiteres Glibberfisch-Menü erspart bleibt –, möchte ich ihn heute lieber nicht persönlich kennenlernen. Einer Konversation mit zwei Italienern fühle ich mich aufgrund meines eingerosteten Vokabelschatzes noch nicht gewachsen. Auf dem Klo warte ich, bis kein italienisches Gebrabbel mehr zu
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