Dicke Hose (German Edition)
seiner Brust beunruhigt, löst Signor Micolucci die Umarmung. Mit seinen Bärenpranken greift er meine Schultern und hält mich auf Armeslänge von sich weg. «Mensch, Alex, ich freu mich ja so!»
Bei mir hält sich die Freude ehrlich gesagt in Grenzen. Und das sieht man mir vermutlich auch an.
«Ich … äh … freu mich auch … Papa !»
Augenblicklich werde ich wieder an die fremde Brust gerissen. Ob der Mann dement ist? Eines steht jedenfalls fest: Um den Zustand seines Herzens braucht man sich keine Sorgen zu machen. Eher um den seines Hirns. Möglicherweise ist ja die gesamte Familie nicht ganz dicht. Das würde auch in Bezug auf Florian einiges erklären.
«Du hast hier ja wirklich ganze Arbeit geleistet, mein Sohn», sagt Signor Micolucci und klopft schon wieder wie wild auf meiner Schulter rum. «Tolle Fotos übrigens.»
Ich sehe ihn fragend an.
«Auf der Gala … Du und Carmen Grünewald. Ein Traumpaar!»
«Na ja …»
«Also – wie sieht es aus?»
«Mit mir und der Grünewald?»
«Mit dir und dem Geschäft. Wie ich höre, wird sogar endlich der kaputte Fußboden versorgt. Wunderbar!» Er strahlt erst mich und dann Victoria an, die von so viel Wiedersehensfreude sichtlich überwältigt ist.
«Ja, das ist … Alex’ Verdienst», sagt sie und blickt verschämt zu Boden.
Ich habe zwar noch immer nicht die leiseste Ahnung, was hier vor sich geht, aber solange das nicht geklärt ist, beschließe ich, mich von einem vollkommen fremden Mann adoptieren zu lassen – und ein paar Dinge klarzustellen: «Den ganzen Rest hat allerdings Frau Wendt organisiert», berichte ich meinem neuen Vater. «Wir sind hier gerade etwas unterbesetzt, deshalb hat sie Tag und Nacht geschuftet. Vor allem nachts!»
Victoria errötet. Offenbar ist es ihr noch immer megapeinlich, dass Florians Vater unseren Streit mit angehört hat. Aber was soll ich erst sagen? Dieser Mann, den ich gerade zum ersten Mal in meinem Leben sehe und dessen Geisteszustand durchaus als fragwürdig zu bezeichnen ist, weiß nun, dass ich in der letzten Woche mit zwei verschiedenen Frauen geschlafen habe, von denen eine seine Geschäftsführerin ist. Ich könnte gut verstehen, wenn er mir deshalb die Camorra auf den Hals hetzt.
«Oh, hallo, Herr Micolucci!» Kai schwebt um die Ecke. Mit zwei Kundinnen im Schlepptau und einem Kleiderhaufen über dem Arm. «Schön, dass Sie uns mal wieder besuchen.»
Neugierig starren die Kundinnen den gutaussehenden Italiener an. «Buongiorno, die Damen!» Signor Micolucci verneigt sich leicht vor der Truppe und blickt Kai anerkennend nach, als er die beiden Frauen geschäftstüchtig zur Kasse schiebt.
Ist es möglich, dass ein Mann so viel Charme besitzen und gleichzeitig einen derart stoffeligen Sohn wie Florian in die Welt setzen kann?
Formvollendet wendet er sich jetzt an Victoria. «Wie haben Sie es nur geschafft, nebenbei noch die ganzen Vorbereitungen für das Event zu treffen, Frau Wendt?», fragt er, und es klingt ehrlich besorgt.
«Na ja, irgendwie hat es halt funktioniert.» Man hört Victoria an, dass sie es selbst kaum glauben kann.
«Haben Sie auch daran gedacht, die Einladungen zu verschicken?»
«Natürlich. Sie sind bereits vor zwei Wochen an unsere registrierten Stammkunden rausgegangen. Alle anderen wurden durch ausliegende Flyer informiert.»
«Sehr gut. Und die Taschenhersteller aus Italien?», will er dann noch wissen. «Sollten die nicht längst eingetroffen sein?»
Victoria nickt. «Sie sind noch unterwegs und erst heute Abend gegen halb neun zum Aufbau der Tische da. Anschließend bringe ich sie in ein Hotel, das ich ganz in der Nähe für sie gebucht habe.»
Ernesto Micolucci nickt anerkennend. «Ja, wenn das so ist …», sagt er und überprüft schnell die Kundenanzahl im Laden. «… werden Ihre Kollegen Sie wohl eine Weile entbehren können.» Dann sieht er mich kurz an. «Könnt ihr eure Chefin einen Moment entbehren, mein Sohn ?»
Oh. «Äh … ja … klar doch. Absolut.»
«Ich würde jetzt nämlich gern zwei Stunden mit Frau Wendt im Büro ein paar Dinge durchgehen.» Galant fasst er Victoria am Arm und führt sie zur Treppe.
Victoria wirkt nicht besonders glücklich. Ob es allerdings daran liegt, dass sie Kai mit mir hier oben alleinlassen muss, oder der Tatsache geschuldet ist, dass aller Wahrscheinlichkeit nach unten gleich die Schnippelarie und die damit verbundenen Sonderbestellungen für gewickelte Kleider mit Fransenkante zur Sprache kommen, lässt sich
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