Dicke Hose (German Edition)
mir steht Victoria – kreidebleich und mit aufgerissenen Augen. Eine Hand reißt sie vor den rot geschminkten Mund. Als unsere Blicke sich treffen, schüttelt sie langsam den Kopf. Das Ganze dauert nicht länger als vier Sekunden, doch sie reichen Florian, um zum Gegenschlag auszuholen. Mit voller Wucht trifft sein Fausthieb meine Wange.
Victoria schreit erneut auf, und auch Florian hebt jetzt die Stimme: «Mach sofort, dass du hier rauskommst, Alex!», giftet er und zerrt an meinem Arm.
«Nur zu gern», fauche ich zurück und überlege, welchen melodramatischen Satz ich Victoria zum Abschied hinhauchen könnte.
Doch dazu soll es nicht mehr kommen. Hinter mir ertönt die tiefe Stimme von Florians Vater: «Hier verlässt niemand mal so einfach den Laden.»
Alle drei zucken wir erschrocken zusammen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen, die jedem Mafioso alle Ehre machen würden, baut Ernesto Micolucci sich im Türrahmen auf. Er wirkt wie Der Pate höchstpersönlich. Denn dafür, dass sein Sohn gerade eine blutende Lippe und sein Adoptivsohn ein blaues Auge kassiert hat, bleibt er erstaunlich gelassen. Für meinen Geschmack geradezu verdächtig gelassen. Allerdings versperrt er mit seiner ausgestreckten Bärenpranke den Weg aus der Küche.
«Frau Wendt, ich bedauere den Vorfall und muss mich für diese beiden Raufbolde entschuldigen. Es wäre nett, wenn Sie sich um die Kollegen aus Italien kümmern würden, die ich gerade hergefahren habe. Das hier», er macht eine wegwerfende Geste in Florians und meine Richtung, «erledigen wir besser unter Männern.»
Ich kenne ja manche Frau, die bei diesem Spruch beleidigt gewesen wäre. Oder die mit trotziger Miene auf die Emanzipation hingewiesen hätte. Nicht so Victoria. Sie nickt und verlässt stumm die Küche.
Was jetzt kommt, wird bestimmt ein bisschen wehtun. Ich meine, man kennt das ja aus dem Fernsehen: Gleich wird zweimal dumpf geschossen, dann sickert Blut auf den Küchenfußboden, und zu guter Letzt erscheint Kai, der vermutlich der heimliche Neffe des Paten ist, um unsere Kadaver zu entsorgen, ehe die Party steigt.
Unsicher blicke ich zu Flo. Wenn einer weiß, was jetzt passiert, dann ja wohl er. Schließlich ist das sein Familienclan. Doch er blickt stumpf zur Tür und schweigt.
«Seid ihr beide von allen guten Geistern verlassen?», brüllt Signor Micolucci jetzt ohne Vorwarnung los. «Dies ist ein Familienunternehmen. Das Lebenswerk meines Großvaters, meines Vaters und auch meins. Ich habe meine ganze Kraft dafür aufgewendet, es nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern daraus eine Marke zu machen. Eine Luxusmarke. Miucci ist sozusagen mein Leben. Es macht mir Freude, und ich trage inzwischen eine große Verantwortung. Für meine Mitarbeiter zum Beispiel. Ich gebe mir Mühe, ein guter Chef zu sein, und ich versuche, Leute einzustellen, die wiederum gute Chefs sind. Und genau das», er zeigt auf Florian, «hatte ich von dir erwartet.»
Na, herzlichen Glückwunsch. Diese Erwartung hat sich ja wohl so was von nicht erfüllt! Schlimmer hätte es nur kommen können, wenn er Jörg Kachelmann eingestellt hätte. Oder Silvio Berlusconi.
«Wie du weißt», fährt er mit donnernder Stimme fort, «läuft vor allem unsere Eigenmarke Miucci sehr gut. Ich sah keinen Grund, dich an diesem Erfolg nicht teilhaben zu lassen. Allerdings hatte ich gedacht, du würdest meine Großzügigkeit zu schätzen wissen und als Gegenleistung hart arbeiten. Und Verantwortung übernehmen.» Er sieht von Florian zu mir. «Aber wie ich sehe, ist das nicht der Fall.»
Moment mal! Also, wenn sich hier einer engagiert hat, dann war das ja wohl ich.
Florian setzt kleinlaut zu seiner Verteidigung an: «Papa, ich …»
«Nichts da, Papa !», brüllt der Pate, und mir scheint, in den Schränken zerspringen die restlichen Tassen. «Dir bleiben genau zwei Möglichkeiten, Florian: Entweder du suchst dir irgendwo einen Job, von dem du deine eigene Bude und dein eigenes Auto finanzieren kannst, oder aber …» Seine Augen funkeln gefährlich. «Du gehst jetzt sofort in den Verkaufsraum und sorgst dafür, dass dieser Tag ein großer Erfolg wird. Und zwar für alle, die daran beteiligt sind!»
Ich sehe Florian aufatmen. Offensichtlich hat er schon andere Bestrafungen des Paten miterlebt und weiß, dass er diesmal noch mit dem Leben davongekommen ist.
«Und noch etwas», sein Vater ist noch nicht fertig, «ab sofort hat hier Frau Wendt das Kommando. Ist das klar?»
Das ist zu viel für Florian. Ich
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