Dicke Hose (German Edition)
Urlaub.
«Ich bin’s: Alex.»
Der Türöffner summt. Durch die schwere, gusseiserne Eingangstür betrete ich ein gediegenes Treppenhaus. Die Wände sind im Fünfziger-Jahre-Stil tapeziert, der Boden mit dunklen Marmorplatten ausgelegt. Wie jedes Mal, wenn ich Flo besuche, schreite ich ehrfürchtig zum Fahrstuhl. Vorbei an einem Marmorsockel, auf dem eine elfenbeinfarbene Büste prangt. Der Bauherr? Einer der Mitbewohner? Oder am Ende doch nur wieder Bismarck?
Während ich auf den Lift warte, fällt mir ein, dass ich meinem Kreislauf zuliebe vielleicht besser die Treppe nehmen sollte, doch es ist zu spät. Die Fahrstuhltür öffnet sich bereits, und ehe ich meine Überlegung zu Ende bringen kann, habe ich den mir bekannten Code eingegeben und schwebe nach oben. Direkt in Florians Wohnung.
«Ich bin im Wohnzimmer!», höre ich ihn rufen. Im Hintergrund nehme ich diffuses Motorengeheule wahr, das plötzlich verstummt. Offenbar hat er soeben den Fernseher ausgeschaltet.
Ich durchquere die riesige Wohnung, von der ich – wenn ich es mir recht überlege – bislang nicht mehr als Küche, Wohnzimmer und Gästetoilette gesehen habe. Keine Ahnung, was sich hinter den anderen Türen verbirgt, meistens treffen wir uns ohnehin in der Goldquelle .
Im Wohnzimmer dauert es einen Moment, ehe ich meinen Kumpel auf einer seiner drei U-förmig aufgestellten Couches entdecke. Er trägt ein weißes Hemd, eine helle Hose und verschmilzt beinahe gänzlich mit dem cremefarbenen Sofastoff. Vor ihm auf einem antiken Glastisch stehen eine Flasche Cola, diverse Gläser und ein Karton vom Lieferservice. Gerade ist er im Begriff, das letzte Stück einer extragroßen Pizza zu verschlingen, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass er dabei aussieht wie das blühende Leben.
«Zu viel fetter Käse ist gar nicht gesund», doziere ich beim Hinsetzen und deute auf die Überreste im Pappkarton. «Und Cola ist schon mal gar nichts für Leute in deinem Zustand. Stattdessen solltest du lieber Wasser trinken und mal ein bisschen Sauerstoff in die Wohnung lassen.» Ich mache eine ausladende Geste in Richtung der bodentiefen Fenster.
«Jetzt spiel bloß nicht die Krankenschwester», entgegnet Florian mit vollem Mund. «Man will doch sein Leben auch ein bisschen genießen.»
Okay, das klingt schon mal nicht so, als würde mein Kumpel demnächst das Zeitliche segnen.
Ich lasse meinen Blick durch den riesigen Raum schweifen. Flos Wohnzimmer misst schätzungsweise 30 Quadratmeter, die noch größer wirken, weil heute die Schiebetür zum Nachbarzimmer offen steht. Wie es scheint, ist dort das Schlafzimmer. Auf seinem Bett türmen sich die Klamotten. Außerdem liegen dort ein Koffer und sein Snowboard.
«Wie ich sehe, bist du bereits am Packen. Heißt das, unser Urlaub findet statt?» Ich wage es kaum zu fragen. «Nun sag schon, was haben die Ärzte herausgefunden? Ich meine, dass du schon wieder zu Hause bist – ist das ein gutes Zeichen?»
Florian blickt an mir vorbei zur Wand. Dabei macht er einen leidenden Gesichtsausdruck, der mir seltsam bekannt vorkommt. Wo habe ich den nur schon mal gesehen?
«Wie man es nimmt», gibt er zurück und guckt noch einen Tick gequälter. «Sie haben mich die ganze Nacht durchgecheckt, aber nichts gefunden.»
«Mensch, Flo, das ist doch ein gutes Zeichen!» Ich bin ehrlich erfreut. Kein qualvolles Dahinsiechen, kein Sterben in meinen Armen und erst recht keine Beerdigung in Stanton.
Florian fixiert noch immer krampfhaft die Wand. Wie ein Patient mit schlimmer Diagnose. Hier ist doch etwas faul.
«Also, ich weiß nicht», sagt Flo und klingt dabei wenig begeistert, «ich meine, würdest du dir keine Sorgen machen, wenn du in einem Moment glaubst, dir springt das Herz aus der Brust, und im anderen Moment behaupten die Ärzte, alles wäre in bester Ordnung?» Ganz offensichtlich ist ihm das Thema unangenehm, denn er mag mich nicht ansehen.
«Du verschweigst mir doch nichts, oder?», versuche ich es auf die direkte Art. Vielleicht haben sie doch etwas gefunden, aber Florian will es nicht zugeben? Männer sind ja sehr gut im Verdrängen. Ganz anders als Frauen, die einem immer gleich eine generationenübergreifende Krankengeschichte auftischen.
«Natürlich nicht!», braust er entrüstet auf. «Wie … äh, wie kommst du denn darauf?»
«Weiß nicht. War nur so eine Idee.» Ich beschließe, das Thema zu wechseln. Männer machen das so. «Heißt das also, alles bleibt beim Alten, und wir düsen nachher noch
Weitere Kostenlose Bücher