Dicke Hose (German Edition)
vielleicht ein bisschen krass formuliert. Andererseits – ich hatte gar keine Wahl. Ich bin ja sozusagen in diese Branche hineingeboren worden. Und nun mache ich das eben, ob ich will oder nicht.»
Victorias Augen werden immer größer. «Du machst das alles, obwohl du gar keine Lust dazu hast?» Sie sieht mich an, als hätte ich mit einem Satz die gesamte Modezunft verraten.
Ich denke an meinen wahren Beruf. «Manchmal hängt mir einfach alles zum Hals raus. Dann fühle ich mich nur als ganz normaler, heterosexueller Mann mit ganz normalen Bedürfnissen.»
Ich glaube, es liegt an den vielen Schwulen, die mich neuerdings umgeben, dass dieser Satz gesagt werden musste.
Einen Moment sehen wir uns in die Augen. Es ist ein magischer Moment.
«Ach. Und welche Bedürfnisse sind das?»
Okay, sie hat es nicht gespürt.
«Mich mit normalen Menschen zu umgeben. Oder, um es konkret auszudrücken, mit normalen Frauen. Frauen, die nicht mal eben 300 Euro für eine Jeans rausdonnern, weil sie sich zu Hause sonst langweilen. Frauen, die auch noch andere Dinge im Kopf haben, außer dem neusten Modetrend. Und die nicht noch die zehnte beigefarbene Tasche haben wollen, nur weil das seit neustem nude heißt.» Zum Beweis meiner Aussage poche ich mit dem Zeigefinger auf eine Zeitschrift, die vor uns auf dem Tisch liegt. Dort steht in großen Lettern: «Beige bekommt Nachwuchs: Ash, Schlamm, Nude und Desert Rose sind die Farben der nächsten Saison!» Scheint die wichtigste Information des Frühjahrs zu sein.
Victoria ignoriert den Einwand. «Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Frauen, die hier einkaufen, allesamt arbeitslose Anhängsel sind, deren Tageswerk darin besteht, zu Hause den Geschirrspüler einzuschalten, oder? Es sind nicht immer nur Männer, die einen gutbezahlten Job haben.»
«Na ja …»
«Außerdem kaufen hier auch Frauen ein, die nicht so gut verdienen. Die sparen dann auf eine Tasche oder ein paar Markenschuhe, so wie ich.»
Sie beißt sich auf die Zunge. Das hätte sie wohl lieber nicht sagen wollen.
Um ihre Aussage zu überspielen, redet sie sich weiter in Rage: «Das ist doch wirklich unfassbar. In dieser Hinsicht tickst du anscheinend wie alle anderen Männer auch. Kaum kauft sich eine Frau ein drittes Paar Schuhe, hält ihr Mann sie für eine überdrehte Modetussi. Dass er sich aber gerade eine unnötige Speichererweiterung für seinen Computer, schicke Alufelgen oder das neueste Smartphone zugelegt hat, vernachlässigt er bei dieser Überlegung komplett.»
«Findest du nicht, du übertreibst jetzt ein bisschen?», frage ich mechanisch. «Ich meine, so oft, wie Frauen etwas Neues zum Anziehen kaufen, macht kein Mann im ganzen Universum ein Update seines Computers. Nicht mal das Pentagon. Oder Bill Gates.»
Victoria verzieht das Gesicht. «Interessant. Das bedeutet dann wohl im Umkehrschluss, dass Bill Gates oder der amerikanische Präsident aber sehr wohl ein Recht darauf hätten, jederzeit ein neues Update zu machen, falls sie es denn wollten. Weil sie ja etwas leisten im Leben.» Sie fuchtelt mit den Armen. «Aber eine Frau, die sich von ihrem Gehalt Schuhe kauft, hat es nicht verdient! Ein Glück, dass du nicht der Designer in eurem Familienunternehmen bist. Sonst würde es pro Jahr vermutlich nur eine fünfteilige Kollektion aus Kartoffelsäcken geben.»
Ich muss grinsen. Die Frau traut sich was, keine Frage.
Es entsteht eine kurze Pause, in der ich mir nun doch einen Schluck Sekt einschenke. Um an die Flasche zu gelangen, stehe ich auf und bleibe einen Moment vor Victoria stehen. Unsicher schielt sie zu mir hoch.
«Du wolltest vorhin wissen, warum ich mich hier um alles so engagiert kümmere?», sagt sie und springt jetzt ebenfalls auf. Inzwischen klingt sie leicht beschwipst. «Weil ich sehr wohl beides kann: mich für Mode interessieren und etwas leisten. Also in diesem Fall einen Laden führen. Und weil dein Vater ein netter Mann ist, mit dem man sehr gut arbeiten kann. Und weil ich mir eines Tages einen eigenen Laden wünsche …»
Auf ihrem Gesicht macht sich eine gewisse Befriedigung breit. Sie steht direkt vor mir. So dicht, dass ich ein paar dunkle Farbtupfer auf ihrer Iris erkennen kann.
Einen Moment schweigen wir und sehen uns in die Augen. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass mein Kreislauf dieses Mal nicht versagt. Zu viel Alkohol? Zu wenig Alkohol? Oder ist mein Körper bereits so entkräftet, dass er nicht mal mehr eine handfeste Ohnmacht zustande bekommt? Nein, es
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