Dicke Hose (German Edition)
einem Sekt, den ich auf der Gala noch schnell in mich hineingeschüttet habe, brauche ich nun erst mal etwas, um wieder klar zu werden.
«Gab es sonst noch nennenswerte Vorkommnisse auf der Veranstaltung?», fragt Victoria mich jetzt misstrauisch und leert vorsichtshalber schon mal ihr Glas in einem Zug. «Irgendwelche bekannten Gesichter? Oder neue Trends?»
«Tja, also … Nicht wirklich.»
Sie wirkt erleichtert. Ich weiß ja nicht, womit sie genau gerechnet hat, aber offenbar kann sie mit dem bislang Gehörten leben. Oder die Modemedizin entfaltet bereits ihre Wirkung.
Plötzlich sieht sie mich neugierig an. «Dein Bruder geht ja leider ungern zu solchen Veranstaltungen. Vielleicht könntest du in Zukunft –»
«Mein Bruder?»
«Ja, da Florian nie hier ist, muss ich mich immer um die Events kümmern.» Sie schenkt sich nun selbst noch einmal nach. Langsam kehrt Farbe in ihr Gesicht zurück. Die Wangen sind gerötet, und die bernsteinfarbenen Augen funkeln in altbekanntem Glanz. Sicherheitshalber starre ich an ihr vorbei in den Flur.
Fängt sie jetzt an, wirr zu reden? Florian ist nie hier? Ja, wo ist er denn dann? Er ist doch der Geschäftsführer dieses Ladens. Merkwürdig. Aber mir kann das egal sein. Noch ein paar Tage, dann bin ich hier raus. Dann kann Flo mit Victoria und dem Betonhelm seinen Fashion-Fasching hier alleine weiterfeiern.
«Wie ist es denn hier heute so gelaufen?», wechsele ich sicherheitshalber das Thema. «Habt ihr alles geschafft, was anstand?»
«Tagsüber sind wir mal wieder zu nichts gekommen. Aber dieses Weihnachtsevent ist wirklich enorm wichtig», sagt Victoria ernst, «deshalb immer die Nachtschichten.»
Ich schaue kurz in ihre Augen, entdecke einen Anflug Schuldbewusstsein und schaue schnell wieder weg. Jetzt bloß nicht sentimental werden.
«Den Hauptteil der Arbeit müssen wir wohl auf Freitagabend schieben. Da schließen wir ausnahmsweise bereits um 17 Uhr und haben anschließend freie Bahn.» Sie sieht mich fragend an. «Hast du eigentlich schon mit den Handwerkern wegen des Bodens gesprochen? Wann kommen die?»
«Äh … Freitag», lüge ich, da ich nicht schon wieder den Anschein erwecken möchte, ich hätte etwas vergessen. Auch wenn es in diesem Fall ausnahmsweise einmal zutrifft.
«Freitag erst?» Victoria ist entsetzt. «Und du hast denen auch wirklich gesagt, dass sie erst nach Feierabend anfangen können zu arbeiten?»
«Jep.»
«Na gut.» Victoria lässt die Angelegenheit auf sich beruhen. Es scheint, als seien ihre Energiereserven aufgebraucht. «Ich habe heute mit den drei kranken Kollegen telefoniert», schweift sie vom Thema ab. «Sieht nicht so aus, als kämen die vor Weihnachten noch einmal wieder. Schöner Mist.»
So wie sie jetzt auf dem Sofa hängt, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, sieht sie ganz verloren und fast ein bisschen verletzlich aus.
«Erstaunlich, dass du dich so für diesen Laden einsetzt», sage ich und greife nach dem kalten Pizzarest. «Also, versteh das jetzt nicht falsch, aber du bist doch nur eine Angestellte. Wenn der Chef und drei weitere Mitarbeiter krank sind – was kümmert es dich?»
Victorias Gesichtsausdruck lässt sich schwer deuten. «Tja, der kranke Chef», sagt sie und schweigt einen Moment nachdenklich. Es scheint, als suche sie nach den passenden Worten. «Es kümmert mich, weil ich das, was ich hier tue, gern mache. Es macht mir Spaß, ich liebe Mode, und ich mag es nun mal, Verantwortung zu übernehmen. Und nicht zuletzt mag ich auch den Umgang mit den Kunden. Frau Grünewald, zum Beispiel. Sie mag dir vielleicht etwas schrullig vorgekommen sein, aber das ist sie eigentlich gar nicht. Überhaupt sind die meisten von unseren Kunden supernett.»
Nun, das fällt mir schwer zu glauben. Ich jedenfalls habe bislang nur komplizierte Fälle kennengelernt.
«Also, ich weiß ja nicht», werfe ich ein. «Viele der Frauen, die hier auftauchen, sind doch verwöhnte, reiche Modepüppchen, die ihrem Mann das Geld aus der Tasche leiern, um dann mit einem teuren Glitzertäschchen vor ihren Freundinnen anzugeben.»
Victoria starrt mich an, als hätte ich etwas total Abartiges gesagt. Etwas, das politisch unkorrekt und zudem auch noch vollkommen abwegig ist.
«So siehst du das?», fragt sie. «Obwohl deine ganze Familie von der Mode lebt?»
Okay, ich habe etwas vollkommen Abwegiges gesagt. Scheiße. Wie konnte ich nur vergessen, dass ich ja seit Geburt ein Modefuzzi bin?
«Also … äh, das war jetzt
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