Dicke Hose (German Edition)
tschau.»
Ich finde Victoria in der Sofaecke. Sie hat das Schneeköniginnenkleid gegen Jeans und ein kariertes Hemd getauscht und die Haare zu einem Knoten auf dem Kopf getürmt. Mit angezogenen Beinen hockt sie auf der kleinen Couch und ist vertieft in irgendwelche Papiere. Vor ihr auf dem Tisch stehen die Reste ihrer bestellten Pizza, außerdem eine Flasche Sekt und diverse Gläser. Als sie mich kommen hört, blickt sie auf.
«Hallo, Alexander», sagt sie knapp, und wie immer kann ich nicht erkennen, ob sie sich freut oder mich am liebsten auf den Mond schießen würde. Ihre Haut ist blass, und die Augen sind vor Müdigkeit gerötet, was besonders auffällt, da sie von einer überformatigen schwarzen Lesebrille eingerahmt werden, die Victoria nun verlegen abnimmt. «Die brauche ich nur abends, wenn ich müde bin», erklärt sie und wechselt sogleich das Thema. «Wie ist es denn mit Carmen Grünewald gelaufen? Wenn dir der Auftritt mit ihr unangenehm war, dann tut mir das leid.»
Na ja. Wenigstens einer weiß hier, was sich gehört.
«Hallo, Vic», sage ich zunächst einmal, um möglichst gleich eine Vertrauensbasis zu schaffen. Dann nehme ich auf der gegenüberliegenden Couch Platz und greife mir eine Zeitschrift. Während ich locker durch die Seiten blättere, starte ich meinen Versuch, Victoria unauffällig auszuhorchen. «Tja, die Grünewald ist schon ziemlich durchgeknallt. Viel länger hätte ich es mit ihr nicht ausgehalten. Ich hoffe, nicht alle eure Stammkundinnen sind derart anstrengend?»
Victoria, die sich alle Mühe gibt, ihre Papiere ohne Brille zu entziffern, sieht kurz hoch. «Ach, sooo anstrengend ist sie doch gar nicht.»
Bitte? Die hat ja keine Ahnung! Selbst ohne das vertauschte Kleid, das ich an dieser Stelle besser nicht erwähne, ist die Grünewald ein Härtefall. «Sind die anderen Stammkundinnen etwa anstrengender?», fahre ich mit der Befragung fort.
Obwohl ich meiner Stimme einen unauffälligen Klang gebe, hebt Victoria alarmiert den Kopf. Mit gerunzelter Stirn sieht sie mich an.
«Ich verstehe die Frage nicht, worauf willst du hinaus?»
War ja klar. Ein unauffälliger Tonfall versetzt Frauen automatisch in allerhöchste Alarmbereitschaft. «Na ja, ich wüsste einfach nur gern, ob es bei Miucci viele Kunden gibt, die einen solchen Umsatz einbringen?»
Jetzt legt Victoria die Zettel zur Seite. «Reicht dir der Umsatz nicht, den wir erwirtschaften?»
Harrr. Kann man denn hier auf eine einfache Frage nicht mal eine einfache Antwort bekommen? Muss immer alles so kompliziert werden?
Victoria scheint ein Einsehen zu haben. «Wir haben bei Miucci sehr viele Stammkunden. Manche kommen wöchentlich, andere monatlich und manche wiederum nur, wenn sie zufällig in der Stadt sind. Nicht immer kaufen diese Kunden etwas. Carmen Grünewald allerdings ist jemand, der regelmäßig für großen Umsatz sorgt. Natürlich ist sie nicht die Einzige, aber auch niemand, auf den man als Kundin verzichten möchte. Man darf ja auch die Werbewirkung nicht unterschätzen, die eine prominente Kundin mit sich bringt.»
«Verstehe.» Scheiße. Den Verkauf kann ich knicken und meinen Job bei Hambitare gleich mit. Ich rutsche etwas tiefer in das Sofa.
Victoria schiebt mir ihren Pizzakarton entgegen. Offenbar glaubt sie aufgrund meiner deprimierten Haltung, ich sei unterzuckert. «Hier, Erste Hilfe. Ist aber leider schon kalt. Was soll ich für dich bestellen?»
«Gar nichts.» Mir ist der Appetit vergangen.
Kurz herrscht Schweigen, dann will sie wissen: «Und welches der Kleider hat Frau Grünewald sich ausgesucht?»
Im Grunde genommen wäre dies wohl der geeignete Augenblick für eine Beichte. Ich könnte erzählen, dass ich die Kleidersäcke zwar vertauscht, aber durch geistesgegenwärtiges Handeln das Beste daraus gemacht habe. Natürlich ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Doch irgendwie fürchte ich, dass Victoria von dieser Miucci-Missoni-Kooperation nicht besonders begeistert wäre.
«Jaja, die Kleider haben gepasst. Also jedenfalls … fast», sage ich deshalb, vermeide es aber, Victoria in die Augen zu sehen. Ein Verhalten, das sich in der Vergangenheit ohnehin als die sicherste Möglichkeit erwiesen hat, in ihrer Nähe einem Kreislaufzusammenbruch zu entgehen. Stattdessen blättere ich wie wild durch die Zeitschrift. «Sie sah … äh … einzigartig aus.»
«Einzigartig?» Schon wieder dieser alarmierte Tonfall. «Heißt das gut ?»
«Na ja, also, ich finde … für ihre
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