Die 10. Symphonie
anrufen und mit ihm hingehen. Was hat dein Göttergatte denn?« »Er sagt, er habe gestern Abend etwas Falsches gegessen. Ich glaube eher, er hat nicht ganz verdaut, dass ihm gestern ein Herr nach dem Vortrag einige unverschämte Fragen gestellt hat.«
»Soll ich nicht auch hierbleiben?«
»Nein, Sophie, so ein Unsinn. Das ist ein Konzert deines Vaters. Er wäre sicher enttäuscht, wenn du nicht kämst. Geh ruhig hin, genieße Beethoven, und wir sehen uns dann morgen.«
Sophie legte auf, griff nach ihrer Tasche, die auf einem niedrigen Tischchen neben dem Kamin lag, und zog schlie ßlich zwei Dinge heraus: ein brandneues Handy und eine seltsame kleine Holzscheibe - vielmehr zwei konzentrische Scheiben, beide voller Buchstaben und Zahlen, die man in beide Richtungen gegeneinander drehen konnte. Sie fingerte ein paar Sekunden daran herum, dann schickte sie eine SMS an eine in ihrem Telefonbuch gespeicherte Nummer:
Wei ßt du den Code noch? UTILZ RX DOZ
7
Jesus Marañón wollte nicht, dass seine Freunde von seinem grandiosen Wohnsitz als einer Luxusvilla sprachen. »Luxus«, das war ein Übermaß an Zierrat, Pomp und Wohlleben. Seine Villa dagegen erweckte nicht, wie die der Neureichen, den Eindruck, mit überflüssigem Kram überladen zu sein. Es sei denn, man betrachtete die Brancusi-Skulpturen im Garten als solchen. Doch auch wenn »Luxus« bedeutete, eine Fülle an nicht unbedingt Notwendigem zu besitzen, konnte man Jesus Marañóns Residenz in der Villensiedlung La Cruz del Monte nicht als »luxuriös« bezeichnen. Um mit sich selbst im Reinen zu sein, benötigte er schließlich jedes einzelne der Dinge, die ihn tagtäglich umgaben. Die drahtlosen Überwachungskameras zum Beispiel, die das gesamte Anwesen säumten. Sie waren der letzte Schrei japanischer Sicherheitstechnologie. Aus rein ästhetischen Gründen hatte sie der Designer Issey Miyake außerdem in runde, tiefschwarze Gehäuse eingelassen, bei deren Anblick selbst Bang & Olufsen vor Neid erblasst wären.
Nach Glucks Iphigenie en Tauride, der Lieblingsoper von Marañóns Frau, war die Villa La Iphigenie benannt, aber bekannter war sie unter dem Spitznamen Kleiner Prado. Die vielen wertvollen Gemälde, die sie beherbergte, darunter zwei Zurbaráns und ein Velázquez, waren von einem solchen Kaliber, dass sie ihrem Spitznamen auch alle Ehre machte.
Als Daniel dort ankam, musste er nicht einmal die Einladung vorzeigen. Marañóns selbst, der im Garten in der Nähe des Eingangs stand, um seine Gäste zu begrüßen, winkte ihn durch. Kurz schien es Daniel, als fühle sich der Türsteher gekränkt, weil er ihn nicht durchsuchen durfte, bevor er ihn hereinließ.
»Sie sind einer von Duráns Leuten, oder?«, fragte Marañóns und streckte die Hand aus. In der anderen hielt er ein Glas Champagner - 95er Clos du Mesnil. Er war ein korpulenter Typ, ungefähr sechzig Jahre alt, mit äußerst breiten Schultern und einer massiven, auffälligen Nase, die Daniel an einen Tomahawk erinnerte. Seine Bräune war makellos, und seine Augen schimmerten ab und zu grünlich golden wie bei einer Katze in der Nacht. Das, obwohl die Umgebung hell erleuchtet war. »Ich arbeite an seinem Institut«, differenzierte Daniel die Aussage seines Gastgebers. »Und Sie heißen wie?« »Paniagua. Daniel Paniagua.«
«Willkommen in meinem bescheidenen Haus, Daniel. Ich habe Sie erkannt, eben weil ich nicht wusste, wer Sie sind. Ich dachte mir schon, dass Durán einen Spion schicken würde - ein Witz, ist nicht so gemeint -, und sagte mir: Der, den ich nicht kenne, der muss es sein. Sie müssen wissen, Jacobos Freunde sind auch meine Freunde. Wahrscheinlich hat er bei Ihnen die alte Leier abgespult, dass ich mich gegen ihn gestellt habe, und so weiter. Glauben Sie ihm kein Wort. Er sieht sich gerne in der Opferrolle, Sie wissen ja, wie diese Stammtischpolitiker sind. Wenn er heute nicht zu diesem Konzert gekommen ist, dann nur, weil er keine Lust hatte. M öchten Sie ein Gläschen Champagner?« »Ja, gerne.«
Wie aus dem Nichts tauchte ein Kellner mit einem Tablett voller Gl äser auf. Mühelos wie ein Magier eine Taube hatte Marañóns ihn mit einem beinahe unmerklichen Kopfnicken herbeigezaubert.
»Links, das ist der, den ich gerade trinke. Er ist zwar der teuerste und exquisiteste der Welt, trotzdem würde ich ihn für den Anfang nicht empfehlen. Probieren Sie diesen, den 97er Bollinger. Der wird Sie überraschen. Er wird aus Pinot-Noir-Reben gewonnen, und den gibt es auch nicht
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