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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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gerade für lau.«
    Daniel nahm das Glas, das ihm sein Gastgeber reichte, und brachte einen dem Anlass entsprechenden Toast aus: »Auf Beethoven!«
    Daraufhin tat Marañóns etwas, das Daniel verwirrte und zugleich amüsierte: Er rezitierte einige merkwürdige Verse:
    So gl ühet fröhlich heute, seid recht von Herzen eins! Auf, trinkt erneuter Freude dies Glas des echten Weins!
    und stie ß dreimal mit ihm an, bevor er den ersten Schluck nahm.
    Dann versuchte er geschlagene zehn Minuten lang, Daniel zu erkl ären, wie der Vorfall mit seiner Tochter und van Asperen sich wirklich zugetragen hatte. Letzteren nannte er Bob, um seine Vertrautheit mit ihm zu demonstrieren. Daniel wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihn die Darlegung seines Gastgebers nicht interessierte, daher sandte er nicht mehr als flüchtige Blicke zu einer Frau mit gebr äunter Haut, einer spektakulären Mähne und Kreolen, die auch als Hula-Hoop-Reifen ihren Zweck erfüllt hätten. Sie trug ein schwarzes, tief ausgeschnittenes Abendkleid mit schmalen Trägern und einem schrägen Saum, der eines ihrer Knie freiließ. Daniel stellte sich vor, sie wäre Italienerin. Silvana konnte ihr Name sein. Sie aber schaute nicht ein einziges Mal in seine Richtung. »... Jacobo wusste, dass meine Tochter Claudia ihr barockes Repertoire besonders liebt, also sagte er, als Bob sein Konzert gab, zu mir, er werde ihn bitten, sie am Ende nach vorne zu holen, um sie in der Zugabe ein paar Arien singen zu lassen. Durán hat schon immer gerne versucht, bei mir Eindruck zu schinden, und dieses Angebot war seine Art, mir zu sagen, er besitze zwar keinen Cent, doch alle Künstler der Welt fräßen ihm aus der Hand. Sogar über die Arien hatte man sich schon geeinigt: Claudia sollte aus der Bach-Kantate BWV 208 die Arie Schafe können sicher weiden singen, von Bob am Cembalo begleitet.« »Ah, die Jagdkantate«, sagte Daniel. »Eben die. Die andere war Komm, komm, mein Herze steht dir offen, BWV 159, glaube ich.« »74«, korrigierte Daniel, der die einwandfreie deutsche Aussprache seines Gesprächspartners bewunderte. »In Wahrheit hatte sich Bob kurz vorher beschwert, dass er und Claudia nicht genug miteinander proben konnten, und wollte die Aktion lieber verschieben. Jacobo wurde sehr wütend. Allerdings nicht auf Bob, der sich sträubte, sondern auf mich, den überhaupt keine Schuld traf. Er beschuldigte mich, Claudias Proben sabotiert zu haben. Dabei habe ich nur gesagt, einer ihrer zwei Probentage müsse umgelegt werden, weil meine Nichte Patricia in Barcelona heiratete und meine Tochter dort nicht fehlen konnte. Durán muss sich sehr unfähig oder nutzlos gefühlt haben, weil er so etwas Einfaches wie die Abstimmung unserer Termine nicht hinbekam. Um nicht vor sich selbst dumm dazustehen, spann er sich dann wohl zurecht, dass ich derjenige gewesen sei, der den Auftritt meiner Tochter erzwingen wollte. Und was ist mit Ihnen?« Daniel nahm einfach mal an, dass sie immer noch über van Asperen redeten.
    »Ach, ich blicke bei der ganzen Geschichte nicht so recht durch. Als van Asperen da war, war ich leider krank.« Daniels Antwort ließ Marañóns spöttisch lächeln. Geschickt griff er sich von einem Tablett ein weiteres Glas Clos du Mesnil, das beinahe einem Dicken mit Hosenträgern in die Hände gefallen wäre, und sagte: »Ich bitte Sie nicht, Partei zu ergreifen. Ich wollte nur wissen, was Sie so machen.«
    »Ach so, ja. Ich gebe musikhistorische Seminare. Und solange sie mich nicht hinauswerfen ...« »Na, dann hoffen wir mal, dass das so bleibt. War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Daniel. Jetzt entschuldigen Sie mich aber bitte, die anderen Gäste warten.« Und er ging davon, um sich seiner Klientel zu widmen.
    Daniel streifte ziellos durch den Garten. Einige Zeit wechselte er kein Wort mit irgendjemandem. Obwohl ihm manche Gesichter bekannt vorkamen, kannte er doch niemanden wirklich, und auch ihn kannte niemand. Er hatte das Gef ühl, inmitten dieser Menge von fast hundertfünfzig Leuten völlig einsam und isoliert zu sein. In der Hoffnung, irgendein Grüppchen würde ihn aufnehmen, lächelte er gezwungen, wenn sein Blick sich mit dem eines anderen Gastes kreuzte. Er betete, dass der Gastgeber, wenn er merkte, in was f ür einer Lage er war, sich seiner erbarmen und ihn jemandem vorstellen würde - und sei es nur dem Verantwortlichen für das Catering. Die Einzigen, die ihn nicht wie einen Aussätzigen behandelten, waren die Kellner. Unaufhörlich

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