Die 10. Symphonie
angeht«, fuhr diese jetzt fort, »haben wir schon den Gipfel des Lächerlichen erreicht, in die eine wie die andere Richtung. Ich habe gehört, wie man darüber diskutierte, ob männliche Geburtshelfer nicht Hebamm heißen müssten.« »Hebamm?«
Daniel l ächelte unsicher - vielleicht wollte die Richterin seinen Humor testen und ihm gleich mal einen Bären aufbinden.
»Du bist mir von Jesus Marañón empfohlen worden«, kam Dona Susana jedoch sofort zur Sache. »Ich möchte mit dir sprechen, weil ich einen Experten brauche, der mir ein paar Fragen über Musik beantworten kann. Es hat mit dem Mord an Thomas zu tun, wie du dir denken kannst. Von der Polizei weiß ich, dass du auf der Gästeliste für sein letztes Konzert gestanden hast.« »Ja, das stimmt. Stehe ich unter Verdacht? Werde ich nun festgenommen?«
»Das hängt davon ab, wie du dich benimmst«, scherzte Dona Susana. Dann sagte sie, wieder vollkommen ernst: »Heute Nacht hat die Polizei Thomas' Kopf gefunden.« »Heilige Mutter Gottes! Davon habe ich ja gar nichts mitbekommen. Das war noch nicht in der Presse, oder?« »Das wird es auch nicht sein, zumindest solange wir es verhindern können. Wenn du den Kopf siehst, weißt du, warum.«
Daniel versuchte zu schlucken, aber es gelang ihm nicht. »Den ... Kopf... sehen?«
»Er wurde ins kriminaltechnische Labor gebracht. Im Augenblick entnehmen die Kollegen ein paar Proben, aber heute Nachmittag haben wir ihn für uns allein. Ich begleite dich. Kannst du um sieben?« »Ja, ich glaube schon.«
»Wir werden nicht publik machen, dass wir den Kopf haben. Unter anderem, weil uns das vor falschen Geständnissen bewahrt. Bei solch medienwirksamen Morden taucht immer irgendein Verrückter auf, der behauptet, er sei es gewesen, nur damit er ins Fernsehen kommt.« »Und wenn er dann nicht weiß, wo der Kopf ist«, spann Daniel den Gedanken zu Ende, »kann er nicht der Mörder sein, klar.«
Er trank einen Schluck, um sich die Kehle zu befeuchten, und erkl ärte: »Ich bin gerne bereit, bei den Ermittlungen behilflich zu sein, aber muss ich dazu wirklich den Kopf sehen?«
»Wenn du ihn vor dir hast, wirst du verstehen, weshalb ich dich darum bitte. Aber wenn dir das zu viel ist...« »Nein, nein, wenn du meinst, dass es notwendig ist, komme ich. Hoffentlich stehe ich das durch.« »Mal nicht so zaghaft. Weißt du, was ein Sachverständiger ist?«
Daniel nickte, doch sie sprach weiter, als ob er verneint h ätte.
»Das ist ein Experte, der vor Gericht als Gutachter auftritt, wenn wissenschaftliche oder sonst irgendwelche Kenntnisse nötig sind, um das Verfahren betreffende Umstände zu bewerten. Du bist Musikwissenschaftler, nicht wahr?«
»Ja. Meine Doktorarbeit habe ich über Cherubini geschrieben, einen Komponisten, den Beethoven sehr bewunderte.«
»Ich habe dich aus einem einfachen Grund nicht über das Gericht bestellen lassen: Wir haben dort einen Maulwurf, der alles an die Presse ausplaudert. Es muss irgendein Angestellter sein. Bisher haben wir ihn allerdings noch nicht erwischt. Ich bin umgeben von schlechtbezahlten Beamten. Ein paar lassen sich immer bestechen und geben dafür Informationen über die abartigsten Fälle weiter.« »Verstehe«, sagte Daniel, dem in diesem Moment aufging, wie die Presse so genaue Kenntnisse über einen jüngst geschehenen Misshandlungsfall erlangen konnte, bei dem ein paar Angehörige der königlichen Familie in den Schmutz gezogen wurden.
»Für das, was ich dir heute Abend zeigen werde, brauche ich einen Sachverständigen. Aber die Presse darf nicht erfahren, dass die Richterin, die den Fall leitet, sich an einen Experten für Musik gewandt hat.« »Wieso nicht?«
Daniel f ürchtete, die Richterin werde ihn mit einem »Weil ich es sage« abfertigen, aber sie tat es nicht. »Mir ist es lieber, wenn der Mörder glaubt, wir würden mit der Hypothese eines rituellen Verbrechens arbeiten.« »Und das ist nicht so?«
»Nein. Aufgrund der Tatsache, dass der Körper keinerlei Anzeichen von Misshandlung aufweist, können wir den klassischen Psychopathen ausschließen, den man so oft in Filmen sieht.«
»Buffalo Bill war es also nicht.« Daniel half der verwirrten Juristin auf die Sprünge. »Das ist der Mörder aus Das Schweigen der Lämmer.« »Aha. Den Film habe ich nicht gesehen.« Sofort sank die Richterin in Daniels Ansehen. »Serienmörder«, fuhr diese jedoch ungerührt fort, »verspüren einen unwiderstehlichen Drang, ihren Opfern Schmerzen zu bereiten und sie zu
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