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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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gehen wir vielleicht etwas zu weit. Und all das, weil ich dir erzählt habe, dass die Musik von gestern Abend mir zu sehr nach Beethoven klang ... Dabei kann alles möglich sein: Selbst die Vermutung, es handle sich doch um ein satanisches oder triebgesteuertes Verbrechen, schließt die Existenz eines Manuskripts der Zehnten nicht aus.«
    »Wie meinst du das?« »Hör dir das mal an.«
    Daniel stand auf und suchte in seiner umfangreichen Sammlung eine kuriose CD, die er im September 2001, genau eine Woche vor den Anschl ägen auf das World Trade Center, in New York gekauft hatte. Die CD hieß Beethoven's Last Night, und es war eine Rockoper, gespielt vom Trans-Siberian Orchestra. Darin wurde die unglückselige Nacht des 26. März 1827 heraufbeschworen, in der das Bonner Genie in die Ewigkeit einging. Auch wenn ihn die Ausführung mit Schlagzeug und elektronischen Instrumenten nicht überzeugt hatte - das Libretto, dem er damals kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte, faszinierte ihn nun:
    »Mephisto erscheint dem todgeweihten Genie just in dem Moment, als dieses die geheimnisumwitterte zehnte Symphonie vollendet hat. Er bietet Beethoven an, auf seine Seele zu verzichten, wenn er ihm im Tausch zugestehe, jede Spur seiner Kompositionen aus dem Gedächtnis der Menschheit zu tilgen. Beethoven zögert, und der Teufel gibt ihm eine Stunde, um es sich zu überlegen. Daraufhin steht der Komponist einer anderen Figur aus der Rockoper gegenüber, dem Schicksal, und bittet dieses und dessen missratenen, launenhaften Sohn, ihm einen Rückblick auf sein Leben zu erlauben, weil er herausfinden möchte, welche seiner Taten die Verdammung seiner Seele bewirkt haben. Bei der Betrachtung seines Lebens wirft er dem Schicksal vor, ihn schwer gestraft zu haben: mit einem alkoholkranken Vater, der ihn misshandelte und beinahe seiner musikalischen Berufung ein Ende gesetzt hätte, mit schönen Frauen, in die er sich hoffnungslos verliebte, die ihm jedoch allesamt ihre Gunst verweigerten, und mit der fortschreitenden Taubheit, dem schlimmsten Unglück, das einen Musiker heimsuchen kann. Das Schicksal fühlt sich schuldig angesichts der Vorwürfe des Genies und bietet ihm an, die schmerzhaftesten Geschehnisse aus seinem Leben zu streichen. Doch da wird Beethoven bewusst, dass seine Musik ohne diese Momente voll Kummer und großen Leids nicht dieselbe wäre, und er schlägt das Angebot aus.
    Als Mephisto nach einer Stunde wieder vor dem Komponisten erscheint, sagt ihm dieser, dass sein Werk f ür das Erbe der Menschheit unentbehrlich sei und dass er lieber seine Seele hingebe, als seine Musik zerstören zu lassen. Voll Zorn bietet der Teufel ihm einen anderen Pakt an: Er könne seine Seele retten, wenn er ihm das Manuskript der eben vollendeten zehnten Symphonie überlasse. Beethoven beratschlagt sich mit dem Geist Mozarts, der ihn dazu bringt, das Manuskript nicht preiszugeben. Nach einem weiteren frustrierten Versuch des Teufels, die Symphonie zu vernichten, geht dem Publikum plötzlich auf, dass der Teufel die ganze Zeit ein falsches Spiel mit dem Musiker getrieben hat: Seine Seele ist gar nicht wirklich dazu verdammt, in der H ölle zu schmoren, sondern dazu bestimmt, direkt in den Himmel aufzufahren. Sie muss nicht einmal durch das Fegefeuer hindurch. Beethoven gibt seine Seele also schließlich in Gottes Hand, versöhnt durch diese wunderbare Wendung, und der Sturm, der während jener Nacht in Wien gewütet hat, flaut ab. Doch der aufmüpfige Sohn des Schicksals schleicht sich zurück in das Zimmer, in dem der leblose Körper Beethovens ruht, bemächtigt sich des Manuskripts der zehnten Symphonie, versteckt es hinter einer Wand. Es bereitet ihm ein teuflisches Vergnügen, zu beobachten, wie Männer und Frauen sich über Generationen vergeblich bemühen, die letzte Komposition des Genies aufzuspüren.«
    Die ersten Akkorde der Ouvert üre von Beethoven's Last Night erklangen, und Alicia und Daniel erschauderten bei dem Gedanken daran, dass hinter der schrecklichen Enthauptung in der vorigen Nacht eine satanistische Sekte stecken mochte.

14
    Als das Telefon klingelte, bellten Durán s Labradore wie besessen. Murphy, der aufsässigere der beiden, schien es nicht zu ertragen, dass sein Herrchen, noch in der Dusche, den Hörer nicht abnahm. Er stellte sich auf die Hinterläufe und stieß mit der Schnauze gegen den Apparat, der auf einem kleinen Sideboard stand, bis dieser scheppernd zu Boden fiel.
    Der H örer lag nun auf dem Teppich, und die

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