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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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der blinde Touristenf ührer bezog, und der Mann kniete sich hin, um den Boden zu inspizieren. »Als ich mit der Hand unter die Dielen fuhr, um herauszufinden, wie tief der Hohlraum war, fand ich zwischen den Balken, auf denen die Dielen ruhen, diesen Brief.« »Dieser Fußboden muss vom Beginn des 19. Jahrhunderts sein. Das Gebäude ist noch älter, von 1735«, ergänzte Doktor Werner.
    »Wie ich sehe, ist das Dielenbrett immer noch locker«, antwortete der Polizist, löste es vollständig vom Boden und lehnte es an die Wand.
    »Wir haben nichts verändert, für den Fall, dass die Polizei einen Blick daraufwerfen will.«
    Mit einer Taschenlampe, die er aus seinem Jackett gezogen hatte, untersuchte der Polizist einige Zeit schweigend die Hohlr äume zwischen den Stützbalken. Schließlich sagte er: »Zwei Dinge, Herr Werner. Das erste ist, dass diese Diele absichtlich und erst vor kurzem gelöst wurde. Sehen Sie diese Spuren? Sie müssen entstanden sein, als man eine Zange gegen das Holz gestemmt hat, um die Nägel zu lösen.« »Ja, sie sind deutlich zu erkennen.«
    »Haben Sie irgendeine Vermutung, wer das getan haben könnte?«
    »Nein. Aber es würde mich sehr wundern, wenn es jemand von der Schule war.«
    »Ist es leicht, Zutritt zu diesen Räumen zu bekommen?« »Sehr leicht. Da hier auch mein Büro ist, steht die Tür tagsüber immer offen, weil ich ständig hinein- und hinausgehe.«
    »Und nachts?«
    »Schließe ich sie immer von innen ab.« »Dann ist also derjenige, der das Brett gelöst hat, höchstwahrscheinlich während der Öffnungszeiten hier hereingekommen. Die Vorführungen finden doch immer nachmittags statt?«
    »Ja, aber vormittags können die Touristen beim Training zuschauen und an einer kurzen Führung durch die Schule teilnehmen.«
    »Gehen die Führungen denn auch durch die Veterinärsräume?«
    »Nein«, antwortete Malinak. »Aber mir fällt gerade ein, dass mich vor ein paar Tagen ein Mann aus einer Gruppe gefragt hat, wohin die Eingangstür zu den Büros hier führt.«
    »Wissen Sie noch, wie er aussah?«
    Erst als er die Frage ausgesprochen hatte, fiel ihm ein, dass er mit einem Blinden redete, und bat um Entschuldigung: »Es tut mir sehr leid, ein Reflex. Vermutlich haben Sie auch bemerkt, dass die Diele, über die Herr Malinak gestolpert ist, markiert ist. In einer Ecke befindet sich eine kleine Einkerbung, die ein B darstellen könnte. Sie ist wesentlich älter als die Zangenspuren.« »Sie haben eben gesagt, Ihnen seien zwei Dinge aufgefallen. Was ist das zweite?«, fragte Doktor Werner. »Oder meinten Sie damit dieses B?«
    »Nein, da ist noch etwas anderes. Wenn Sie einmal näher kommen und sich den Boden anschauen, auf dem die Bal ken liegen, sehen Sie dort einen rechteckigen Fleck von der Gr öße eines Schreibhefts, der heller ist als der Rest.« »Was, glauben Sie, ist das?«
    »Offenbar befand sich außer dem Brief noch ein weiterer Gegenstand unter den Dielen, der jedoch entwendet wurde.«

25
    Als Daniel zu seinem mit Spannung erwarteten Treffen bei Marañón kam, öffnete ihm eine brasilianische Haushälterin die Tür. Sie führte ihn nicht, wie erwartet, in ein Empfangszimmer, sondern in den Fitnessraum, wo sich der exzentrische Millionär in Form hielt. Er begrüßte Daniel und trabte dabei weiter auf dem hochmodernen Laufband, das auf eine hohe Geschwindigkeit eingestellt war. Er musste eine ausgezeichnete Kondition haben, denn trotz der beträchtlichen körperlichen Anstrengung hatte er beim Sprechen kaum Atemprobleme. »Hallo, Daniel. Tut mir leid, dass ich Sie im Fitnessraum empfange, aber heute Morgen hatte ich eine etwas langwierige Diskussion mit meiner Frau. Deswegen habe ich mein Sportprogramm nicht geschafft. Jetzt versuche ich, es nachzuholen. Wie fit sind Sie?« »Immer wenn ich kann, gehe ich laufen.« »Lassen Sie sich gratulieren. Wie ich gehört habe, haben Sie herausgefunden, aus welchem Stück die Noten sind, die Thomas sich in den Kopf tätowieren ließ: aus Beethovens Kaiserkonzert.«
    »Das hat sich ja schnell herumgesprochen.« »Ich erfahre oft, was geschehen wird, noch bevor es geschieht. Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten - zum einen als Musikliebhaber, zum anderen, weil ich Mysteri en mag und mich daher die L ösung dieses Rätsels außerordentlich interessiert.«
    Das Laufband, das so programmiert war, dass es nach der vorgesehenen Zeit automatisch anhielt, verlangsamte sich unter Marañón s Füßen. Er schwankte kurz, sein Körper musste

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