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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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trat ein paar Schritte zurück, um ihr Werk im Ganzen zu betrachten. Dann legte sie plötzlich die Pinsel auf der Staffelei ab und reichte ihrer Freundin einen türkisen Kimono zum Überziehen.
    »Ich kann nicht mehr, ich bin einfach nicht gemacht für solche durchgeplanten Bilder.« »Kann ich es anschauen?«
    »Vergiss es. Du wirst es ja bald sehen. Ich schätze, wir brauchen nur noch wenige Sitzungen. Nach Daniels Buch frage ich nur, weil ich heute im Internet etwas entdeckt habe, das ihn sicher interessieren wird.« Als Marie-Christine Alicia den Artikel zeigte, den sie vor ein paar Stunden ausgedruckt hatte, wusste diese, dass sie, Krise hin oder her, ihrem Freund sofort eine E-Mail schreiben musste.

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    Alicia wollte nicht, dass Daniel wusste, wem er die Nachricht verdankte. Deshalb legte sie eine neue Adresse an, [email protected] , und lie ß ihm die Mail anonym zukommen. Dann recherchierte sie im Netz, wie man eine SMS versendet, ohne dass die eigene Nummer angezeigt wird, und informierte ihn, dass er eine Mail über Beethoven bekommen habe.
    Daniel setzte sich sofort an den Computer und öffnete sein Mailprogramm. Er hatte einiges an Spam bekommen, und von seinem Kollegen Villafane eine Programmdatei, die er nicht öffnete, da ihm dessen pseudowitzige Computeranwendungen ziemlich auf die Nerven gingen. Als Letztes fand er Alicias Mail im Posteingang. In der Betreffzeile stand:
    Portr ät eines lächelnden Beethoven entdeckt
    Und in der Nachricht hie ß es:
    M ünchen. Im nächsten Jahr wird der 150. Todestag des deutschen Malers Joseph Karl Stieler begangen, ein bekannter klassizistischer Porträtmaler, der unter anderem im Auftrag König Ludwigs I. von Bayern arbeitete. Aus diesem Anlass werden in München, wo der Künstler starb, fünfzig seiner Werke ausgestellt.
    Der Kurator der Ausstellung, Professor Hans Rottenhammer, hat einen Katalog mit dem Gesamtwerk Stielers ver öffentlicht und die Authentizität aller seiner Gemälde prüfen lassen. Die Hauptattraktion der Ausstellung und eine große Überraschung für die deutsche Kunstwelt ist das Porträt des Komponisten Ludwig van Beethoven, den Stieler 1820 verewigt hat. Das erst kürzlich entdeckte Gemälde, von dem man zunächst angenommen hatte, es stelle einen Arzt oder Rabbiner dar, entstammt der privaten Sammlung des Prinzen Louis-Pierre- Toussaint-Baptiste Bonaparte, der französischer Thronerbe und ein direkter Nachkomme Napoleon Bonapartes ist. »Das Porträt weist alle typischen Züge des späten Stieler auf, die charakteristische Pinselführung und eine erlesene Farbwahl«, bestätigt Professor Rottenhammer. Von den etwa fünfzehn erhaltenen Beethoven-Porträts ist dies das einzige, auf dem das stets schlechtgelaunte Genie lächelt. Aus diesem Grund war der Abgebildete bisher auch nicht identifiziert worden.
    Die Meldung zeigte das Portr ät Beethovens in verkleinertem Maßstab. Das Lächeln des Musikers war trotzdem deutlich erkennbar. Es war spöttisch und geheimnisvoll und ließ fast schon an Leonardos Mona Lisa denken. Daniel suchte nach weiteren Informationen im Zusammenhang mit dem Erscheinen des Bildes, doch die Nachricht war ganz neu und hatte in der Internetpresse noch keinen Staub aufgewirbelt. Er erstellte bei Google ein halbes Dutzend News-Alerts, um über jede das Bild betreffende Nachricht auf dem Laufenden zu sein. Es fesselte ihn. Beethovens Blick war so ausdrucksstark, dass Daniel umgehend entschied, dieses Bild f ür das Cover seiner Abhandlung über den Komponisten zu verwenden. Er besuchte die Seiten der größten Münchner Museen und fand heraus, dass die Ausstellung in der Neuen Pinakothek stattfand. Was die Malerei des 19. Jahrhunderts betraf, war das Museum das weltweit bedeutendste. Zufrieden stellte Daniel fest, dass man über die Website des Museumsshops nicht nur ein Poster des Bildes kaufen konnte, sondern auch den Ausstellungskatalog und sogar ein Mousepad. Er plazierte die drei Artikel in seinen Einkaufswagen. Alles zusammen kostete beinahe hundert Euro, was ihn etwas verstimmte. Aber diese Dinge waren für ihn so wertvoll, dass er die Bestellung dennoch aufgab.
    Wer hatte ihm wohl die anonyme Nachricht über das Bild zukommen lassen? Es handelte sich offenbar um ein spätes Porträt Beethovens, vielleicht in seinem letzten Lebensjahr gemalt. Doch wenn man nur von dem Gemälde ausging, konnte dies nicht mehr als eine Vermutung sein. Wie ärgerlich, dass es kein Foto war! Beethoven war 1827 mit 56 Jahren

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