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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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gestorben, als die Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte. Eines der ersten Fotos war zu jener Zeit von dem französischen Erfinder Nicephore Niepce bei strahlendem Sonnenschein nach einer Belichtungszeit von acht Stunden aufgenommen worden! Aus nachvollziehbaren Gründen war darauf ein Haus abgebildet. Kein Mensch hätte so lange stillhalten können - und am allerwenigsten der unruhige, jähzornige Beethoven. Fasziniert betrachtete Daniel erneut das verkleinerte Gemälde auf der Website. Wieso zeigte Beethoven auf der Zielgeraden seines Lebens, als für ihn alles Sorge, Kum mer und Krankheit war, ein solches L ächeln? Hatte sich der Maler hier künstlerische Freiheiten herausgenommen, oder gab das Bild tatsächlich den damaligen Gemütszustand des Genies wieder? Es war nicht nur ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel: Daniel war auch aufgefallen, dass Beethovens Stirn, die auf anderen Bildern drohend gerunzelt zum Ausdruck brachte: Mit-mir-treibt-man-keine-Spielchen, oder Ich-habe-das-Schicksal-am-Schlafittchen, auf diesem Porträt ganz entspannt war. Der Musiker schien tatsächlich auch mit den Augen zu lächeln. Seit seiner frühesten Kindheit war Beethoven nicht gerade auf Rosen gebettet gewesen. Der Vater war ein Trinker und als Musiker nur mittelmäßig. Seine Haltung zu dem begabten Sprössling war zwiespältig: Einerseits hoffte er, dass der junge Ludwig ein großer Komponist und Musiker werden würde, um als Vater eines zweiten Mozart die Lorbeeren ernten zu können; andererseits versuchte er, die musikalischen Fortschritte seines Sohnes in der Jugend auszubremsen, um nicht am Hof von Bonn, wo er selbst mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt verdiente, in seinem Schatten zu stehen. Jedes Mal wenn er ihn beim Improvisieren am Klavier überraschte, überkam ihn die Angst, das Talent seines Sohns könnte sich unmäßig entfalten.
    »Schon wieder diese Spielchen?«, sagte er dann immer. »Weg vom Klavier, oder ich ziehe dir die Ohren lang!« Und das, wo die Fähigkeit zu improvisieren in jener Zeit eine Bedingung dafür war, sich einen Ruf als Virtuose zu erwerben - im Gegensatz zu heute, wo die Pianisten an den Noten kleben.
    Seine Kindheit war hart, doch die wahre H ölle durchlitt Beethoven bekanntlich in den letzten Jahren seines Le bens. Deshalb konnte sich Daniel das r ätselhafte Lächeln auf dem Gemälde einfach nicht erklären. Die letzte Etappe im Leben des Komponisten war unter anderem durch den ungeheuren, erbarmungslosen Kampf gegen seine Schwägerin Johanna um die Vormundschaft über seinen Neffen geprägt gewesen, den Sohn seines jüngeren Bruders Karl Kasper, der 1815 an Tuberkulose gestorben war. Die erbitterten Auseinandersetzungen um den Jungen zogen sich über fünf Jahre hin. Am Ende erreichte Beethoven zwar, dass er recht bekam, doch der Streit hinterließ ihn erschöpft und verhärmt. Zum Beispiel musste er während des unendlich langen Gerichtsverfahrens in einem demütigenden Verhör zugeben, dass er nicht von edler Abstammung war, sondern dass das van in seinem ursprünglich flämischen Nachnamen im Gegensatz zu dem deutschen von keine adlige Herkunft anzeigte. Diese Tatsache führte dazu, dass sein Fall von einem Gericht niedrigeren Ranges verhandelt wurde, nicht vom Landrecht, wie es in Wien zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Adel zustand.
    Schreckliche Durchfallerkrankungen raubten ihm daneben Energie und Kreativit ät und zwangen ihn, immer wieder Geld für Ärzte und Kuren auszugeben. Ab 1816 war er endgültig taub - nach einem qualvollen, unaufhaltsamen Prozess, der ungefähr um 1795 begonnen hatte und der den Musiker ohnmächtig dem Verlust seines wichtigsten Sinnes auslieferte. Künstlerisch hatte er die höchsten Gipfel erklommen, die ein Komponist erreichen konnte. Dennoch näherte sich Beethoven dem Tod in Verbitterung, weil er immer noch nicht das Etikett eines »Musikers nur für Musiker« losgeworden war, das ihm ausgerechnet seine durchschnittlichsten Gegner gaben. Das hei ßt, ohne dass sein enormer Fleiß und sein unerschöpfliches Talent geleugnet wurden, warf man Beethoven pauschal vor, seine Werke seien so verworren und schwierig, dass sie nur von seinen Kollegen verstanden und geschätzt werden könnten. Das schmerzte ihn am meisten. Geschuldet war dies größtenteils dem Umstand, dass Beethovens Publikum, seit seiner Ankunft in Wien Ende des 18, Jahrhunderts, aus einer ausgewählten Gruppe von Wiener Adeligen bestand. Angeführt wurde sie von

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