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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wolfrum
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kommunistische Regime in eine tiefe Krise – die Rote Armee schlug den Aufstand blutig nieder. In der Bundesrepublik kamen neben dem Protest gegen Krieg, Imperialismus und Kapitalismus noch drei spezifisch deutsche Dimensionen hinzu: die Kritik an der Ordinarienuniversität, die sich im Spruch bündelte: «Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren», der Protest gegen die Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD und ihre Notstandsgesetzgebung, die «NS-Gesetze» genannt wurden, schließlich der Vorwurf einer mangelhaften Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, was sich in dem Diktum von der «Unfähigkeit zu trauern» niederschlug. Feindbild war zudem die «Spießerhölle» der Eltern. Daran zeigte sich, dass die Bewegung nicht von einer sozialen Schicht, sondern von einer bestimmten Altergruppe, der zwischen 20- und 30-Jährigen, getragen wurde; es handelte sich um einen Generationenkonflikt.
    Zwei Ereignisse brachten in der Bundesrepublik und West-Berlin den Protest zur Explosion: Am 2. Juni 1967 besuchte der persische Schah, ein grausamer Diktator, West-Berlin; es kam zu Demonstrationen, in deren Verlauf der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde. In den folgenden Monaten heizte sich die öffentliche Stimmung auf, Protest und Gewalt vereinten sich. Am Gründonnerstag 1968 verübte ein rechtsradikaler junger Mann ein Attentat auf den bekanntesten deutschen Studentenführer, Rudi Dutschke, und verletzte ihn sehr schwer. Folge waren die «Osterunruhen», bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in zahlreichen deutschen Städten mit Toten und hunderten von Verletzten. Mit Müh und Not und großem Polizeiaufgebot konnte die Gewalt eingedämmt werden, und dass die Bewegung bald verpuffte, hatte auch mit dem politischen Machtwechsel von 1969 zu tun. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass ein kleiner, radikaler Zweig der 68er in den Terrorismus abglitt.
    Nirgends traten die 68er als dauerhafte Organisation in Erscheinung, und auf politischem Gebiet sind sie seinerzeit gescheitert – die Integrationskraft der bundesdeutschen Demokratie erwies sich als so groß, dass etwa der damalige Straßenkämpfer Joschka Fischer dreißig Jahre später zeitweilig zum beliebtesten deutschen Politiker und weltweit angesehenen Außenminister aufsteigen konnte. So erfolgreich konnte der 1968 angekündigte «Marsch durch die Institutionen»sein. Auf kulturellem und sozialem Gebiet haben die 68er deutliche Spuren hinterlassen, sie trugen zur Öffnung der Gesellschaft bei. «Individualisierung», «Selbstverwirklichung» und «Autoritätsverfall» sind hierzu Stichworte, die indessen in ihrer Widersprüchlichkeit verdeutlichen, dass das Charakterbild der 68er je nach eigenem Standpunkt zwischen Positivem und Negativem schwankt.
    53. Wer sind die «Baby-Boomer»? Generationenbezeichnungen sind so eine Sache. Wir kennen die 45er, die auch die «skeptische Generation» genannt wurde; es handelt sich um die Kohorte, die noch im Nationalsozialismus sozialisiert worden war, ab 1945 jedoch tatkräftig zum Aufbau der Demokratie beitrug. Die 68er sind ein Begriff, ebenso die «Generation Golf» – in Anlehnung an den VW-Golf –, die zwischen 1965 und 1975 Geborenen. Manche sprechen neuerdings von den 89ern, der Wiedervereinigungsgeneration. Zwischen den 68ern und der «Generation Golf» liegen die «Baby-Boomer», jene, die etwa vom Ende der 1950er bis zur Mitte der 1960er Jahre das Licht der Welt erblickten. In diesen Jahren stieg die Geburtenziffer der Bundesrepublik so stark wie nie zuvor, daher rührt die Bezeichnung. Hatte die Geburtenzahl 1950 rund 813.000 betragen, so erreichte sie 1964 mit 1.357.304 ihren Höhepunkt. Dieser Babyboom signalisierte, dass es den Deutschen wieder besser ging. Waren im Nachkriegsjahrzehnt Eheschließungen und Familiengründungen oftmals auf «bessere Zeiten» verschoben worden, so wurden sie jetzt nachgeholt. Das Familienministerium sprach voller Begeisterung von einer «überwältigenden Ehefreudigkeit». Die Baby-Boomer erzeugten einen erheblichen Reformdruck auf die bundesdeutsche Gesellschaft, sichtbar vor allem in der Bildungsexpansion der 60er Jahre. Ob die Baby-Boomer eine begünstigte oder eine benachteiligte Generation waren, ob sie als Folgegeneration der 68er desillusioniert oder als diejenige, die seit Mitte der 1970er Jahre die neuen sozialen Bewegungen mittrugen, doch vielmehr erwartungsfroh waren – darüber streiten sich Soziologen.

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