Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
würden Sie tun, wenn morgen ein Krieg mit Russland ausbrechen würde?», meinten die meisten der befragten jungen Männer, nämlich 46 Prozent, «gar nichts – abwarten …» Nur 30 Prozent erklärten, sie würden gegen die Russen kämpfen.
49. Warum liebten die Deutschen Ravioli und Toast Hawaii? Spätestens seitdem Goethe seine «Italienische Reise» verfasst und von dem Land, in dem die Sonne scheint und die Zitronen blühen, geschwärmt hatte, gab es eine deutsche Italiensehnsucht. In den 1950er Jahren erfuhr dieses Sehnen eine Neuauflage. In einem der populärsten Schlager der Zeit sang Caterina Valente «Komm’ ein bisschen mit nach Italien, komm’ ein bisschen mit ans blaue Meer», Peter Alexander schwärmte von «Mandolinen im Mondschein» und die «Capri-Fischer» von Rudi Schuricke aus dem Jahr 1946 konnte sowieso jeder mitsingen. Capri, Gardasee, Rimini, so hießen die Sehnsuchtsorte der Westdeutschen, und wer es sich noch nicht leisten konnte, mit dem Auto zum versprochenen Glück gen Süden zu fahren und dort dem Camping zu frönen, der holte sich eben ein Stück Italien ins Haus. Die zunehmende Technisierung und Rationalisierung des Haushaltes machte es möglich, dass immer mehr konservierte und fertig komponierte Nahrungsmittel aus der Dose verwendet und ganz einfach zubereitet werden konnten. Das Dosenfertiggericht«Ravioli» war ein typisches Produkt der 1950er Jahre, das damals den Hunger der Deutschen nach italienischem Genuss stillte. Und mit dem «Toast Hawaii» – der Ananas-Scheibe aus der Dose, die man unter den Schmelzkäse legte – glaubten die Bundesdeutschen, den Anschluss an die Küchen der Welt gefunden zu haben. Kartoffeln und vermehrt wieder Fleisch führten ihren Speisplan nach wie vor an, doch entstanden auch neue Konsummuster und Essgewohnheiten durch neuartige Nahrungsmittel wie Reis im Kochbeutel. Der subjektive kleine Wohlstand auf dem Teller, der sich hier dokumentierte, war die eine Seite dieser Medaille – die andere Seite war der kollektive Wunsch der Westdeutschen, wieder zur großen, weiten Welt dazuzugehören, der sich hierin ebenfalls ausdrückte.
50. Gab es mehr Katholiken oder Protestanten? Wenn man nach Faktoren sucht, die die Bundesrepublik stabilisiert haben, so fällt der Blick rasch auf die Konfessionen. Deutschland war seit der Reformation im 16. Jahrhundert das klassische Land der Konfessionsspaltung. Protestanten und Katholiken standen sich häufig auch politisch unversöhnlich gegenüber. Im protestantisch geprägten Deutschen Kaiserreich seit 1871 wurden Katholiken als Rom-hörige «Reichsfeinde» regelrecht gebrandmarkt. Sie galten als Bürger zweiter Klasse und wurden von der Teilhabe an der Macht lange Zeit ausgeschlossen. Der territoriale Zuschnitt des neuen Staates Bundesrepublik jedoch schliff diesen Konflikt radikal ab. Die protestantischen Gebiete Ostdeutschlands fielen weg, der Schwerpunkt verlagerte sich in den eher katholisch geprägten Westen und Süden. Erstmals in der deutschen Geschichte gab es in der Bundesrepublik ein tendenzielles Gleichgewicht der beiden Konfessionen, was stabilisierend und beruhigend wirkte. Mehr noch: Während der ersten vierzig Jahre der Bundesrepublik gaben – von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl – vor allem katholische Spitzenpolitiker den Ton an. Die Kehrseite war allerdings, dass der traditionelle politische Katholizismus in Gestalt der Zentrumspartei nicht wieder entstand. Trotz des katholischen Bodengewinns seit 1949 setzte seit den 1960er Jahren eine Erosion des katholischen Milieus ein und der Trend zur Individualisierung und Pluralisierung erfasste auch die Kirche. Die Folge war ein Rückgang des Kirchenbesuchs, vor allem jedoch eine Kirchenaustrittswelle seit Anfang der 1970er Jahre, die 1995 mit über 170.000 Austritten aus der katholischen Kirche ihren Höhepunkt erreichte. Der Protestantismushatte sich zwar bereitwilliger als die römische Kirche neuen Zeitströmungen geöffnet, litt aber erheblich an dem Verlust seiner ostdeutschen Kerngebiete und wurde von einer noch dramatischeren Säkularisierung gebeutelt – bereits 1970 stieg die Zahl der Austritte auf über 200.000, was an die Substanz ging. Seit 1980 gewannen deshalb die Katholiken in der Bundesrepublik ein leichtes demographisches Übergewicht im Verhältnis von 43,5 Prozent zu 42,8 Prozent. Auch die deutsche Wiedervereinigung 1990 änderte an dieser Relation nichts. Im historischen Kernland des deutschen Protestantismus, in den
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