Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
sich unter Vorsitz von Rosh der «Förderkreis», der nach dem Fall der Berliner Mauer als neuen Denkmalsstandort ein Gelände in den ehemaligen Ministergärten südlich des Brandenburger Tors favorisierte. Im November 1992 war ein wichtiges Etappenziel erreicht: Der Bund und das Land Berlin erklärten sich bereit, die Hälfte der Kosten für das geplante Denkmal zu übernehmen; die andere Hälfte sollte der Förderkreis aus Spenden finanzieren. Damit aber definierten politische Repräsentationszweckedie Aufgaben und die Funktionen der Kunst – die Folgen zeigten sich bald.
Die anschließende Phase von 1993 bis 1995 stand im Zeichen des Wettbewerbs für das Denkmal. Die Auslober fassten «Anlass und Ziel» des Projekts in folgende Worte: «(…) es ist das Deutschland von heute, das sich in Gänze der Verpflichtung stellt: – der Wahrheit nicht auszuweichen, sie nicht dem Vergessen preiszugeben, – die jüdischen Ermordeten Europas zu ehren, – ihrer in Trauer und Scham zu gedenken, – die Last der deutschen Geschichte anzunehmen, – ein Zeichen zu setzen für ein neues Kapitel menschlichen Zusammenlebens, in dem kein Unrecht an Minderheiten möglich sein darf.» 528 Entwürfe gingen ein und im März 1993 gab die Jury ihre Entscheidung bekannt. Bald eskalierte der Streit. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, setzte sich für einen der ausgezeichneten Entwürfe ein, während sich die Jury auf einen anderen verständigte. Dieser jedoch wurde wiederum von Bundeskanzler Helmut Kohl als nicht akzeptabel bezeichnet, der das Verfahren stoppte. Nur mühsam ging es in der folgenden Zeit zwischen 1996 und 1998 voran. Der Weg war mit immer neuen, zum Teil grundsätzlichen Konflikten gepflastert, so etwa zur Frage, welche prinzipielle Aussage das Denkmal überhaupt treffen sollte. Im Juli 1997 kam es zu einer zweiten Wettbewerbsrunde. Als «Realisierungsauswahl» einigte sich die Jury im November auf die Vorschläge von Peter Eisenman/Richard Serra (Stelenfeld), Jochen Gerz (drei Viertel der Fläche sollten mit Steinen gepflastert werden, die Antworten der Besucher trügen – Antworten auf die eine Frage, die an der Spitze von 39 in gleichen Abständen aufgestellten Lichtmasten von 17 Metern Höhe mit Glasfaserkabeln in den 39 Sprachen der jüdischen Opfer Europas gestellt wurde: «Warum?»), Daniel Libeskind («Stein-Atem», ein Entwurf, der das Irreparable und die Leere einer vernarbten Landschaft heraufbeschwor) und Gesine Weinmiller («Achtzehn verstreute Sandstein-Mauersegmente», die Leben symbolisierten, was indes durch den Abstieg in den Erinnerungsraum konterkariert wird, der an eine Wunde denken lässt).
Auf einen eindeutigen Sieger konnte man sich nicht einigen. Wiederum griff der Bundeskanzler ein: Er präferierte den Entwurf von Eisenman/Serra, ein wellenförmiges Stelenfeld aus 4000 Betonpfeilern von jeweils knapp einem Meter Breite und 2,30 Metern Länge, die in der Höhe von null Meter am Rand bis 7,50 Meter in der Grundstückmittevariierten und die das gesamte Gelände bedecken sollten. Die Stelen wirken in ihrer unterschiedlichen Größe individualisiert und kollektiviert zugleich; Besucher können sich in ihnen verlaufen. Kohl machte allerdings auch Änderungsvorschläge, z.B. was die Anzahl und Höhe der Pfeiler betraf, die beide reduziert werden sollten, was Serra veranlasste, sich aus dem Projekt zurückzuziehen; Eisenman revidierte den ursprünglichen Entwurf allein.
Nach dem Regierungswechsel zur rot-grünen Koalition von 1998 schien das Vorhaben eines zentralen Holocaust-Mahnmals zunächst in Frage gestellt. Der neue Staatsminister für Kultur, Michael Naumann (SPD), hielt das gesamte Konzept für zu monumental und zu ästhetisierend und schlug vor, auf dem Wettbewerbsgelände Steven Spielbergs Shoah-Stiftung anzusiedeln, die bis dahin 48.000 Interviews mit Holocaust-Überlebenden geführt haben würde. Zahlreiche Intellektuelle lehnten das Holocaust-Denkmal mittlerweile vehement ab. Martin Walser beispielsweise sprach in seiner skandalträchtigen Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober 1998 von einer «Monumentalisierung der Schande». Die neue Bundesregierung legte nun fest, dass der Deutsche Bundestag über das Denkmal entscheiden solle; am 25. Juni 1999 beschloss dieser, in Berlin ein Mahnmal zu errichten, es ausschließlich den jüdischen NS-Opfern zu widmen, den überarbeiteten Entwurf von Eisenman zu
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