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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wolfrum
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nach vorn gedacht werden musste, entstand die «Gruppe 47». Im Jahr 1947 verbot die amerikanische Besatzungsmacht die Zeitschrift «Der Ruf», und deren ehemalige Herausgeber trafen sich am 10. September 1947 in der Absicht, «die junge Literatur zu sammeln und zu fördern», so Hans-Werner Richter, der Kopf der Gruppe. Schriftsteller, Literaturkritiker und Verleger kamen fortan regelmäßig zusammen, um neue Werke zu präsentieren und zu kritisieren. Es handelte sich um eine fluktuierende Gruppierung, die zum wichtigsten Gradmesser der neuen bundesdeutschen Literatur in den1950er Jahren wurde: Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Günter Eich, Hans-Magnus Enzensberger, Günter Grass, Marcel Reich-Ranicki, Martin Walser und viele andere – die Gruppe 47 entwickelte sich rasch zur Talentschmiede. Stilistisches Leitbild war ein «magischer Realismus»; die konkrete Vergangenheit und Gegenwart verwandelte sich in die Beschreibung zeitloser Nöte und existentieller Gefährdungen. So entstand gleichermaßen betörende und irritierende Lyrik (Ingeborg Bachmann); und Martin Walser, der 1955 den jährlich verliehenen Preis der Gruppe erhielt, nahm in seinen frühen Romanen, wie «Ehen von Philippsburg», das beklemmende Innenleben westdeutscher Kleinbürgerlichkeit aufs Korn. Seit Mitte der 1960er Jahre verschärften sich indessen die Spannungen unter den Gruppenmitgliedern, die Treffen entglitten, Polemik bestimmte den Ton, Kritik verwandelte sich in offene Konfrontation. Versuche eines Neubeginns scheiterten immer wieder und 1977 löste sich die Gruppe 47 endgültig auf.
    74. Hatten alle Deutschen Nierentische? Wenn man heute Fotos oder Filme aus den 1950er Jahren sieht oder auch nur nach Erinnerungen an die «Fuffziger» fragt, so scheinen alle Wohnungen mit Nierentischen, Gummibäumen, unzerbrechlichen Vasen und anderen kühnen Gegenständen bestückt gewesen zu sein. Neue Plastiksorten ermöglichten die Produktion fantasievoller Einrichtungsgegenstände und so entstand eine kuriose Formenwelt der Nierentische und Tütenlampen. Diese moderne Formgestaltung nahm Entwürfe des Bauhauses aus den 1920er Jahren, die während der NS-Zeit verfemt worden waren, wieder auf, und die daraus entstehende expressiv-eskapistische Ästhetik des Alltagsinventars kündete von einer neuen Zeit – der «Moderne». Das Adjektiv «modern» wurde zum Inbegriff für einen Abschied von der alten Zeit. Doch was uns heute mit Impertinenz als das Kennzeichen der Fünfziger entgegentritt, feierte große Erfolge erst im Retrochic der 1970er Jahre, als man dieses Produktdesign wiederentdeckte. Mitte der fünfziger Jahre legte das Allensbacher Institut für Demoskopie einem repräsentativen Querschnitt der westdeutschen Bevölkerung die Abbildungen von vier Wohnzimmern mit unterschiedlichem Einrichtungsstil vor. Was gefiel den Deutschen am besten? Nierentische? Das Ergebnis war eindeutig und mag uns heute Lebenden ein wenig enttäuschen. Mehr als die Hälfte bevorzugte jenes Interieur, das Modernisten so gerne als«altdeutschen Plüsch» verächtlich machen: einen wuchtigen Wohnzimmerschrank, der bis unter die Decke reichte, einen klobigen Holz-Esstisch in der Mitte, darüber eine Art Kronleuchter, und der restliche Platz im Zimmer vollgestellt mit monströsen, breitschultrigen Polstersesseln. Nur eine kleine Minderheit schätzte die zierliche Variante der leicht geschwungenen und farbenprächtigen PVC-Möbel mit filigranen Schalensesseln, grazilen Nierentischen und flexibler Stehlampe, die wir heute als Insignien der Wohnkultur der 1950er Jahre betrachten.
    75. Was hat Joseph Beuys mit der «documenta» zu tun? Es war zweifellos das wichtigste kulturelle Ereignis jener Jahre mit spektakulären Fernwirkungen: Im Jahr 1955 erfolgte die Gründung der Kasseler «documenta» unter dem erklärten Ziel, die Abstraktion als Ausdruck der Moderne zu adeln und nach langen Jahren der Nacht und dem Verdikt einer «entarteten Kunst» den Westdeutschen endlich wieder Anschluss an die künstlerische Moderne zu ermöglichen. Pablo Picasso, Paul Klee, Emil Nolde, Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und viele weitere Vertreter von Expressionismus, Surrealismus und Kubismus waren zu sehen. «Da kommt man wohl nicht umhin», so einer der Organisatoren, Werner Haftmann, in seiner Einführung von 1955, «noch einmal die schmerzhaften Erinnerungen anzurühren an jene jüngst vergangene Zeit, in der Deutschland aus der vereinten Anstrengung des

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