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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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in dem spätmittelalterlichen Text
Der Ackermann aus Böhmen
. Er stammt von Johannes von Tepl (1350–1414) ungefähr aus dem Jahr 1400. Dieser Johannes war gebildet und hatte einen Beruf, der wohl zwischen dem eines Verwaltungsbeamten, Notars und Stadtschreibers lag. Ob seine Erzählung einen autobiographischen Anlass hat oder ob es nur ein Produkt einer narrativen oder stilistischen Übung war, wissen wir nicht. Immerhin wirft der Ackermann dem Teufel im dritten Kapitel vor, er hätte ihm den zwölften Buchstaben und damit seine ganze Lebensfreude geraubt. Nach mittelalterlicher Zählung wäre dies das M, das als abkürzendes Initial für den Namen Margaretha stehen könnte – und so hieß die verstorbene Frau von Johannes.
    Der Text selbst ist in 34 Kapitel gegliedert. Abwechselnd enthalten die Kapitel entweder die Klage des Ackermanns oder die Reaktion des Todes. Dass der Tod in dieser Zeit personifiziert auftreten konnte, ist nicht neu. Neu hingegen ist die inhaltliche und rhetorischeStoßkraft dieser vehementen Anklage an den Tod, die in der Literatur ihresgleichen sucht und vielleicht nur mit dem Todeshass eines Elias Canetti verglichen werden kann. Anlass dieser furiosen Anklage ist der Tod der geliebten Frau. Die einzelnen Kapitel und somit die Redeteile der beiden Prozessgegner und Streitparteien sind insofern von einer geradezu drastischen Vehemenz gekennzeichnet, auch wenn sie den rhetorischen Regeln dieser Zeit folgen.
    Es gibt in der Tat eine Dimension des Textes, die es erlaubt, ihn sehr modern und geradezu psychologistisch zu lesen, nämlich wenn man fragt, wie dieses Streitgespräch mit dem Teufel zugleich so etwas wie eine Selbsttherapie darstellt, die dem Ackermann hilft, die immense Verlusterfahrung zu verarbeiten. In der Tat kann man feststellen, dass er im Laufe des Streits zu veränderten Einstellungen gelangt. Damit ließe sich auch eine nicht weniger moderne, existenzialistische Lesart entdecken, in der es darum geht, diesen Streit als Selbstbehauptung des Individuums gerade gegenüber einer Macht zu lesen, die den Menschen radikal in Frage stellt. Tatsächlich aber nutzt der Text den Streit, um grundsätzliche anthropologische Fragen aufzuwerfen und zur Erhellung einer
conditio humana
beizutragen. Fragen wie: Was ist der Mensch, welche Bedeutung haben die Liebe und das Leid, welche Bedeutung hat die Frau für den Mann (aus dieser noch ganz männlich dominierten Sicht), welche Bedeutung hat die Ehe? Er leistet damit so etwas wie eine frühe Selbstverständigung des Menschen über sich selbst: eine Anthropologie
avant la lettre
. Genau dies verortet den Text in einer markanten Zwischenstellung zwischen Mittelalter und Neuzeit: Die Reflexion über das eigene Schicksal dient letztlich dazu, auch schon darüber hinausblicken zu können. Am Ende des Streitgesprächs wird Gott angerufen, der ein Urteil zu sprechen hat. Gott kann nicht anders entscheiden. Die Klage bleibt ergebnislos, dem Tod wird das Recht bzw. der Sieg in diesem Streit zugesprochen. Und dennoch ist dieses Urteil eines, mit dem der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes gut leben kann. Denn dieses Urteil enthält die Anerkenntnis dieser
conditio humana
. Der Mensch ist ein Mensch, weil er liebt und weil er leidet.
    14. Ist die Welt närrisch? Der Begriff des Narren ist vielfältig. Noch heute wird er gebraucht in der Bedeutung von dummer oder unkluger Mensch. Narren gibt es auch im Fasching bzw. in der Fastnacht. Aus dieser Tradition entwickelte sich im 15. Jahrhundert dasFastnachtsspiel, das bestimmte Formen des Treibens ritualisierte und in die Form eines kleinen, improvisierten Theaterstücks brachte. Das Fastnachtsstück brachte dabei die Fastnachtsverkleidung und das Maskenspiel des Theaters zusammen. Der Narr ist dabei jemand, der aus dem sozialen Gefüge heraustritt, sich von sozialen Zwängen befreit, ungewöhnlich und unverständlich, auch unvernünftig handelt, Normen außer Kraft setzt, sich enthemmt und einer puren oder auch derben Lebenslust nachgeht. Das späte Mittelalter im Übergang zur Frühen Neuzeit war so stark von der Narrheit eingenommen, dass man eine umfangreiche Literaturgeschichte der Narrheit schreiben könnte.
    Sebastian Brant (1457–1521) jedenfalls war kein Narr. Im Gegenteil, er war ein sehr gebildeter Mann, promoviert in den beiden Rechten, dem kirchlichen und dem zivilen Recht. Er lehrte Jura, war sogar Dekan und in der Zeit vor der Jahrhundertwende einer der aktivsten Publizisten und zudem sogar

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