Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
noch Herausgeber, unter anderem der Werke von Augustinus. 1494 publizierte er zusammen mit Bergmann von Olpe sein
Narrenschiff
. Es enthält eine Vorrede und ein Schlusswort und dazwischen 113 Kapitel, die verschiedene Formen des Narrentums und der Narrheit vorführen, angesiedelt in einem phantastischen Narrenreich, Narragonien, wobei jedes Kapitel mit einem Holzschnitt illustriert wird. Die Beispiele, die dabei vorgeführt werden, betreffen menschliches Verhalten, das dumm, unintelligent, töricht und nicht zuletzt unchristlich ist. Man könnte also sagen, hier liegt ein großes Panoptikum abweichenden Verhaltens vor. Was hier als nicht normgerechtes Verhalten regelrecht vorgeführt und damit der Kritik preisgegeben wird, wird nicht als Ausnahme von der Regel, sondern gerade umgekehrt als Regel vorgestellt. So närrisch ist die Welt. Vielleicht ist dies auch einer der Gründe, warum das Buch so erfolgreich wurde und es heute noch zu den Longsellern gehört. Allein bis ins 17. Jahrhundert hinein gab es an die 70 Auflagen bzw. Drucke.
Dabei verknüpft das Buch drei wesentliche Metaphernfelder. Zum einen wird der Typus des Narren selbst zu einer Generalmetapher für den Menschen ausgebaut. Der Mensch ist ein Narr, und das
Narrenschiff
hält dem Menschen den Spiegel so vor, dass er sich selbst als Narr erkennen kann, er aber gleichzeitig die Möglichkeit bekommt, konkrete Formen seiner Narrheit zu durchschauen. Das zweite Metaphernfeld ist das Schiff. Das Schiff steht für die menschliche Gemeinschaftoder für die Gesellschaft als Ganzes. Ein Schiff macht darauf aufmerksam, dass die Gesellschaft als Ganzes Menschenwerk ist, ein Gebilde, ein Artefakt ähnlich einem Bauwerk, das bisweilen auch als Metapher für soziale Gemeinschaft fungiert. Im Hintergrund ist auch noch die dritte Metapher vom Leben als Seereise auszumachen. Auf dem Titelbild kann man auf dem oberen Teil einen Narrenzug erkennen, der sich auf ein Schiff begibt, das man im unteren Teil sieht. Dieses Schiff ist unterwegs
ad narragoniam
, also ins Narrenreich. Damit bekommt diese Metapher eine doppelte Perspektive. Im Kapitel 109 wird derjenige als Narr ausgegeben, der sich im Unglück nicht zu helfen und sich nicht zu bewähren weiß. Bildlich dargestellt wird dies durch einen Holzschnitt, der einen Narren in einem zerbrochenen und dem Untergang geweihten Boot zeigt. Brant ist derjenige – und damit kommt eine zusätzliche Metapher ins Spiel –, der mit diesem Buch den Menschen einen Spiegel vorhält, in dem sie sich als Narren erkennen können. Das Buch verbindet dabei Humor und Didaxe, Zeitdiagnostik und Satire, Kritik und Unterhaltung und ist weniger zynisch als dies etwa die vergleichbare Geschichte von
Till Eulenspiegel
ist. Närrisch sein heißt daher in allererster Linie anfällig sein für die Korrumpierungen, die das Leben mit sich bringt. Dazu gehören Falschheit, Fehleinschätzungen, Kurzsichtigkeit, Dummheit, Ignoranz, Arroganz, Triebhaftigkeit und Sündhaftigkeit in jeder Hinsicht.
15. Welche Überlebenschancen hat ein Narr? Mit
Till Eulenspiegel
tritt abermals ein Narr auf, der ganz in dieses eben beschriebene Themenfeld gehört (siehe Frage 14) und der doch darüber hinausragt. Er ist ein Bruder von Faust: Wie bei ihm mag seine Geschichte auf eine reale Person zurückgehen, die allerdings wohl schon um 1350 gestorben sein muss, wenn sie überhaupt je existiert hat. Wie beim Faust hat sich auch seine Geschichte zu einem Volksbuch entwickelt (siehe Frage 19). Und wie der Faust hat auch der Eulenspiegel seinen ursprünglichen zeitlichen Kontext lange, ja bis heute überlebt.
Ein kurzweilig lesen von Dil Ulenspiegel
kann heute als früheste Fassung gelten. Die älteste ist es nicht. Der Verfasser ist unbekannt, es ist nur ein Kürzel «N.» angegeben, doch ob es sich dabei um den Autor, Bearbeiter oder Drucker handelt, ist unklar. Als Drucker der Fassung von 1515 nennt sich Johannes Grieninger. Die Annahme, dass es sich bei dem Autor um Hermann Bote handelt, ist wenig begründet.Diese Geschichte ist 1515 gedruckt worden. Angegeben wird, dass sie schon 1500 aufgeschrieben wurde, in einer anderen Fassung (einem anderen Druck) wird sogar 1483 als Entstehungsjahr genannt. Es mag wohl auch schon frühere Drucke um 1508 gegeben haben. Nimmt man alle möglichen Fassungen zusammen, so lassen sich bis heute etwa knapp 400 Bearbeitungen dieses Stoffes ausmachen. Der heute noch gebräuchliche Name Till Eulenspiegel ist erst ab dem 16. Jahrhundert in
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