Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
Vom Netzwerk:
Ausdrucksmöglichkeiten haben sich erschöpft. Der Grund ist auch in einer allgemeinen Tendenz zu suchen, Literatur vernünftig zu begründen und jeden stilistischen und rhetorischen Überfluss zubeschneiden. Dabei kann man zwei bemerkenswerte Phänomene beobachten, die uns heutigen Lesern sehr unvertraut vorkommen. Zum einen erfindet die Lyrik der Aufklärung die Natur, und zum anderen versucht sie noch einmal eine Einheit von Kunst und Wissenschaft ins Werk zu setzen. Beide Phänomene hängen eng zusammen. Wenn wir heute von Natur sprechen, so meinen wir damit etwas Gegebenes im Gegensatz zu dem, was Menschen geschaffen haben, also insbesondere einen Gegensatz zur Kultur. Aber Kultur allein ist keine historische Entwicklung, sondern der Gegensatz von Natur, und Kultur ist eine historische Entwicklung. Denn welchen Begriff und welche Vorstellungen wir von der Natur haben, hängt von unserer Einstellung und eben gerade nicht von der Natur ab. An der Lyrik der Aufklärung kann man das wunderbar nachverfolgen. Autoren wie Barthold Heinrich Brockes (1680–1747), Albrecht von Haller (1708–1777) oder Ewald Christian von Kleist (1715–1759), ein preußischer Offizier und Vorfahre jenes anderen Autors mit selbem Nachnamen, schreiben Naturlyrik, aber nicht in diesem Sinne, wie wir diesen Begriff heute verstehen. Die Natur, die sie schildern, hat noch nichts mit romantischer Landschaft zu tun, auch wenn ihre Landschaftsschilderungen schon als poetische Malerei klassifiziert werden. Die Natur ist hier alles andere als natürlich und umso weniger natürlich, je natürlicher sie sich gibt. Natur wird nicht abgemalt, nicht dargestellt, sondern Natur wird regelrecht neu erfunden. An der Natur kann man die göttliche Einrichtung der Welt erkennen. Natur ist äußeres Korrelat einer inneren Vernunft. Natur muss sich als reflexives Moment vorstellen: Der Blick auf die Natur erweist die Vernünftigkeit des Blicks, und die Vernünftigkeit des Blicks bestätigt sich in der Vernunft der Natur. Wenn man daher die Naturschilderungen dieser Autoren, sei es als Landschaft (zum Beispiel das Gebirge, die Alpen), als Jahreszeit (der Frühling), als Ort oder als Ding (der nächtliche Garten, der Kirschbaum), liest, kommt uns heutigen Lesern diese Natur relativ kühl vor. Hier ist noch nichts von romantischem Überschwang oder von Transzendenzerfahrung zu spüren. Die Natur wird gerade zu einem Zwischenglied zwischen menschlicher Vernunft und göttlicher Ordnung. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass Natur Gotteswerk und mithin auch Medium Gottes ist, so dass Gott in der Natur erkannt werden kann. Man spricht hier von einer Physikotheologie. Diese Überzeugung geht letztlich auf den niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza zurück, der die Formel «sive deus sive natura» ausgegeben hatte (entwederGott oder Natur, beziehungsweise: Natur und Gott sind äquivalent), die noch weit ins 19. Jahrhundert hinein wirkt.
    Daher erweist sich das Gedicht in besonderer Weise geeignet, die Natur darzustellen. Es kann so zu einem besonderen Instrument der Erkenntnis Gottes in der Natur werden. Das ist der Grund, warum in der Aufklärung gerade im lyrischen Bereich das Lehrhafte der Dichtung beheimatet ist und warum das Lehrgedicht, das aus der Antike schon bekannt ist, solch fröhliche Urstände feiern kann. Zu Beginn der Aufklärung sind daher noch drei Bereiche im Lehrgedicht aufs Engste miteinander verbunden, die im Zuge der Aufklärung immer weiter auseinandertreten: Kunst, Wissenschaft und Religion.
    31. Wie stürzt man einen Literaturpapst? Beispielsweise durch einen solchen Satz: «Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe. Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.» Der Satz stammt von Lessing (1729–1781) aus seinem 17. Literaturbrief vom 16. Februar 1759. Die
Briefe die neueste Literatur betreffend
waren eine Literaturzeitschrift und ein Rezensionsorgan, das zunächst von Nicolai, Mendelssohn und Lessing herausgegeben wurde und wöchentlich von 1759 bis 1765 erschien. Sie umfassen insgesamt 23 Teile und ein Namensregister im 24. Teil und 278 Briefe. Lessing arbeitete regelmäßig und

Weitere Kostenlose Bücher