Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur
Christian Günther (1695–1723) anlässlich der Magistrierung von Herrn Tobias Ehrenfried Fritsche 1718 geschrieben, in dem es so schön heißt: «Magisterküsse schmecken süßer/Als Mandelmilch und Honigseim».
27. Welche Funktion hat der Tod der Märtyrerin und gab es im Barock schon den
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? Der Tod ist medial präsent, in immer neuen Konfigurationen, und das allein könnte nicht nur, wie dies der französische Historiker Philipp Ariès (1914–1984) unternommen hat, eine Geschichte des Todes ergeben, sondern vor allem eine Geschichte der Grausamkeit unter medialen Bedingungen. Denn Menschen haben offenbar schon immer gerne den Tod gesehen. Ob sie auch das Sterben gerne sehen? So leicht ist die Frage nicht zu beantworten, aber es gibt in der Tat eine bestimmte sadistische Schaulust, die sich auf das Leiden, den Schmerz und das Sterben richtet. Der Name Trauerspiel oder Tragödie verschleiert nur durch eine hochkulturelle Camouflage, dass Menschen offensichtlich große Lust haben, den Tod von Menschen auf der Bühne mitzuerleben.
Es gibt ein bestimmtes Filmgenre, das diese Schaulust am qualvollen Sterben, an Folter und Tod geradezu lustvoll auslebt, und dafür hat man den Begriff des
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erfunden. Das hat es auch schon im Barock, gerade im Märtyrerdrama gegeben, zu einer Zeit also, als der Tod noch nicht so aseptisch und klinisch rein aus der Lebenswirklichkeit der Menschen verschwunden war, wie er das heute ist.
Im Jahr 1655 erschien eine Serie von acht Radierungen des Zeichners Gregor Bieber und des Stechers Johann Using, die eine Inszenierung von Gryphius’ zweitem Drama,
Catharina von Georgien
, das im Jahr 1657 erstmals gedruckt wurde, sind. Darunter findet sich auch eine, die einen großen Saal zeigt, der als Folterraum dient. In der Mitte ist eine Säule, an die eine Frau, extrem leicht bekleidet, mit hochgestreckten Armen gebunden ist. Daneben findet sich ein Folterer, dervermutlich mit einer Zange ihre Brüste berührt. Wenn das nicht purer Sadismus ist? Eine solche Szene findet sich im Drama nicht. Dennoch spielt die Folterung eine wesentliche Rolle, sie wird allerdings nur durch Botenbericht, von den Jungfrauen der Königin, geschildert. Die Radierung bebildert also das ‹Kopfkino› des Zuschauers im Barock.
Gryphius konnte hier auf einen zu seiner Zeit fast noch aktuellen historischen Fall zurückgreifen. Die reale Königin wurde tatsächlich im Jahr 1624 von dem persischen Schah Abas gefangen genommen, gefoltert und getötet. Dies ist – in aller Knappheit – auch die Handlungsstruktur des Dramas. Das Drama selbst hat einen Doppeltitel:
Catharina von Georgien/oder/Bewehrete Beständigkeit. Trauer=Spiel
. Damit wird nicht nur die historische Figur, sondern auch das ahistorische und religiöse Beispiel, das sie gibt, fokussiert. Handlung und ihre allegorische Deutung werden so miteinander verknüpft. Dabei werden mehrere Ebenen eines Konflikts überlagert. Catharina kommt zu Schah Abas, um für ihr Volk zu bitten. Sie wird gefangen gesetzt und mit der Forderung konfrontiert, von ihren politischen Zielen abzulassen, Abas zu ehelichen und ihren christlichen Glauben aufzugeben. Alle Forderungen sind für Catharina unerfüllbar, aber sie hat nicht die geringste Möglichkeit, eigenständig zu handeln. Die einzige selbstbestimmte Handlung besteht darin, den Märtyrertod bewusst in Kauf zu nehmen und damit ein Beispiel abzugeben. Ihre Weigerung, die Forderungen zu erfüllen, ihre Weigerung, sich politisch, erotisch und religiös hinzugeben, macht ihr Handeln zu einem Beispiel von Beständigkeit und etabliert die Norm der
constantia
. Der Märtyrertod hat eine Funktion. Das ist der wesentliche Unterschied zu neueren Formen der medialen Darstellung von Gewalt und Tod.
28. Was zeigt das Titelkupfer von Grimmelshausens Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus
? Am Ende des 17. Jahrhunderts wird ein Roman von weltliterarischem Rang in deutscher Sprache veröffentlicht, der bis heute im kulturellen Gedächtnis geblieben ist:
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
von Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen aus dem Jahr 1668 (auf dem Titelblatt ist er vordatiert auf 1669). Er erzählt in Ich-Form, wie es der Titel schon andeutet, die wechselvollen Abenteuer des Simplicissimus Teutsch während des 30-jährigen Krieges und darüber hinaus. Der Roman hatte zunächst fünf Bücher, später wurde ihm noch ein sechstes, eine Fortsetzung – eine
Continuatio
–, hinzugefügt.
Man hat den
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