Die 101 wichtigsten Fragen - die Bibel
deutschen Rechtswesen vorgeschriebene Dialog bei der Zeugenvereidigung lautet:
Richter: Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben.
Zeuge: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Es steht dem Zeugen frei, auch eine andere, nicht-religiöse Eidesformel zu wählen. Bei Jesu Verbot des Eides geht es jedoch nicht um den Gebrauch einer religiösen Formel, sondern um das Schwören überhaupt. Jede Form von Eidesleistung wird heute mit Berufung auf die Bergpredigt von manchen christlichen Gruppen abgelehnt, z.B. von den Zeugen Jehovas, während Katholiken und Protestanten das Schwören im Rechtswesen bejahen.
Verbot der Ehescheidung:
Konservative christliche Gruppen sind generell gegen die Ehescheidung, doch halten viele mit Hinweis auf den Wortlaut der Bergpredigt (Matthäus 5,32) die Ehescheidung im Fall von Ehebruch für legitim. Das katholische Kirchenrecht lehnt die Scheidung ganz ab; nach katholischer Auffassung lässt sich jedoch eine bereits geschlossene Ehe unter Umständen für ungültig erklären. Dagegen ist für die meisten protestantischen Kirchen die Ehescheidung ein zwar bedauerlicher, aber keineswegs illegitimer Vorgang.
Verbot der Gewaltanwendung:
Der Schriftsteller Leo Tolstoi (1828–1910) sah in diesem Verbot die Grundlage für eine neue friedliche Gesellschaftsordnung, die Zeugen Jehovas verweigern mit Berufung auf das Gebot jede Beteiligung an militärischen Handlungen. Die katholische Kirche hält zwar Gewaltanwendung durch Polizei und Militär für legitim, aber katholische Priester und Ordensleute dürfen keine Waffen tragen oder Soldaten sein. Den Standpunkt vieler gibt der Soziologe Max Weber wieder: Die Bergpredigt stellt sozial sinnlose Forderungen wie «die andere Wange» hinzuhalten, wenn einer schlägt, und überhaupt dem Bösen keinen Widerstand entgegenzusetzen. Erfüllbar und Ausdruck besonderer Würde ist diese Ethik nur für Heilige, die wie Jesus und der heilige Franziskus von Assisi leben. Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren. Der Politiker muss nach anderen Grundsätzen handeln (M. Weber,
Politik als Beruf
, 1919).
Lassen sich die Weisungen der Bergpredigt überhaupt im Alltag befolgen? Albert Schweitzer (1875–1965) hat grundsätzliche Bedenken geäußert: Die Bergpredigt empfehle, sich von der Welt abzuwenden, sie gebe daher keine sinnvollen Regeln für das Alltagsleben. Das sei verständlich: Jesus habe ein nahes Weltende erwartet; diese Erwartung habe eine realistische Ethik überflüssig gemacht. Da sich Jesus in seiner Erwartung getäuscht habe, könnten wir auch seine ethischen Forderungen nicht übernehmen. Die Bergpredigt mag den Einzelnen zur Bildung einer guten Gesinnung anregen; in der realen Welt sei sie jedoch nicht anwendbar.
64. Was sagt die Bibel zur Ehescheidung? Von der Ehescheidung spricht die Bibel fast immer aus dem Blickwinkel des Mannes; daher nennt sie den Vorgang «eine Frau entlassen». Darf ein Mann seine Frau entlassen? Dazu hat die Bibel keine einheitliche Meinung. (1) Nach einer ersten Auffassung ist Scheidung ein normaler Rechtsvorgang, dem nichts Anrüchiges anhaftet. Als Beispiel lässt sich Abraham anführen: Als ihm Sara einen Sohn geboren hatte, «entlässt» Abraham auf Drängen Saras seine Nebenfrau Hagar und schickt sie zusammen mit ihrem Sohn Ismael aus dem Haus (Genesis 21). Nach dem Gesetz des Mose kann ein Mann seine Frau entlassen, wenn er an ihr etwas Anstößiges findet (Deuteronomium 24,1). Als Grund reicht bereits, das Essen anbrennen zu lassen – so der jüdische Lehrer Hillel im 1. Jahrhundert n.Chr. (Mischna, Traktat Gittin 9,10). (2) Die Gegenposition wird vom Propheten Maleachi vertreten. Im 5. Jahrhundert v. Chr. hat ein Jerusalemer Priester seine einheimischeFrau verstoßen, um eine Ausländerin zu heiraten. Das ruft Maleachi auf den Plan: Er wettert gegen die Scheidung als Bruch des mit der Frau geschlossenen Ehebundes: «Ich hasse Entlassung (d. h. Scheidung), spricht der Herr, der Gott Israels.» (Maleachi 2,16) (3) Die dritte Position findet sich mehrfach im Neuen Testament: Die «Entlassung» einer Frau ist unter bestimmten Umständen erlaubt. So kann eine Frau verstoßen werden, wenn sie «Unzucht» begangen hat (Matthäus 5,31–32; 19,7–9). Ob mit «Unzucht» Ehebruch oder Prostitution oder beides gemeint ist, bleibt unklar. Nach Paulus darf ein Nichtchrist seine christliche Frau entlassen, wenn
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