Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
sollten unter besonderer Obhut aufgezogen werden, die «der schlechteren aber, und wenn eines von ihnen verstümmelt geboren ist», seien, «wie es sich ziemt, in einem unzugänglichen und unbekannten Orte [zu] verbergen.» Auch wenn letztlich offen bleibt, welches Schicksal diese Kinder zu erwarten haben, so scheint die Eliminierung von Kindern, die dem Eliteverständnis nicht entsprechen, mindestens möglich.
19. Gab es schon in der Antike rassifizierende Deutungen von «Hautfarbe»? Dass wir «Hautfarben» sehen, lehrte uns der Rassismus und bezog dabei Anleihen aus der christlichen Farbsymbolik, die wiederum bis in die griechische Antike zurückverfolgt werden kann. «Hautfarbe» wurde dort klimatheoretisch erklärt, geopolitisch verortet und zur Hierarchisierung von Kulturen herangezogen. Die Zentrumsposition und damit die von Norm(alität) und Macht hatte die «Hautfarbe» der Griechen,
andreíkelon,
was wortgenau als «wie ein Mann» zu übersetzen wäre und damit alle Menschen ohne
andreíkelon
als jenseits des Mensch-Seins auffasst – das betrifft Weiße wie Schwarze.
Weiß galt als «Hautfarbe» der Perser_innen und Völker des extremen Nordens, wie etwa der Skythen. Während «weiße Hautfarbe» als «barbarisch» angesehen wurde, galt weißer Teint gleichzeitig als charakteristisch für Griech_innen, deren Leben im Haus zentriert war – Frauen und Philosophen. Daher kamen dem hellen Teint auch positive Eigenschaften wie Schönheit, Tugend und Vergeistlichung zu. Eine solche Ambivalenz gab es bezüglich der Verortung von Schwarzen nicht.
Als Schwarze galten Ägypter_innen und Äthiopier_innen, wobei letztere Bezeichnung alle Afrikaner_innen meint, die keine Ägypter_innen sind. Äthiopisch lässt sich etymologisch von dem Griechischen [
aethio
] «ich brenne» und [
ops
] «das Gesicht», also «verbranntes Gesicht» herleiten. Schwarz als Farbe von Haut wird so klimatheoretisch mit ausgetrockneten Haaren und minder bemittelten Hirnen zusammengedacht und geopolitisch zum Logo Afrikas und seiner Menschen. In der griechisch-römischen Literatur finden sich zahlreiche Belege dafür, dass Schwarze als böse [
kakoetheian
], barbarisch [
oxy
] und unzivilisiert [
apolitikon
] konzipiert werden. Diese dämonisierende Situierung von Schwarzen steht diskursanalytisch gesehen nicht im Gegensatz zu exotisierenden Projektionen, die Schwarze als fruchtbar und (sexuell) begehrenswert entwerfen. So wurden etwa unter Griech_innen Bilder von Schwarzen als Amulette oder Fruchtbarkeitssymbole verwendet. Jenseits von «Hautfarbe» galt Schwarz zudem als Farbe des Bösen, speziell von Geistern und Dämonen (
daimon
)
,
als Farbe von Tod und Kummer.
20. Was hat Rassismus von der christlichen Farbsymbolik gelernt? Weiß gilt in der christlichen Religion als Farbe des Göttlichen undseiner Engel, des Himmlischen und seiner Transparenz, steht für Schönheit und Verheißung, für Licht und Helligkeit. Schwarz verkörpert das Monströse des Teufels und die Untiefen der Hölle. Schwarz symbolisiert Hässlichkeit, Sünde, Schuld, Schande, die Notwendigkeit von Sühne und Buße und bedeutet die Abwesenheit von Schönheit und Moral.
Das hat sich auch in Kontexte eingeschrieben, denen scheinbar nichts Religiöses innewohnt – oder warum tragen wir gern eine weiße Weste, möchten aber nicht das schwarze Schaf sein? Weiß ist die Farbe der Unschuld und deswegen tragen wir eine weiße Weste, wenn wir uns keiner Schuld bewusst sind. Wir fühlen uns erhellt, wenn wir etwas verstehen, und etwas liegt im Dunkeln oder wird dunkel erinnert, wenn die Erinnerung Lücken aufweist. Daher gilt Schwarz vielen von uns als Farbe des Bösen und in einer schier endlosen Liste, die von «Schwarzfahren» über «Schwarzmärkte» bis zu «Schwarzarbeitern» reicht, gebrauchen wir Schwarz als Farbe des «Illegalen», aber auch, wie beim schwarzen Schaf, das es tatsächlich gibt, des «Andersseins».
Rassismus machte sich die christliche Farbsymbolik zunutze und verstärkte sie zugleich. Vom Ansatz, Weiß als Farbe des Göttlichen, Guten und Überlegenen zu sehen, war es ein naheliegender Schritt, Christen als
weiße
Menschen zu konzipieren. Dabei lief ein Abstraktionsprozess ab, der Schattierungen von Beige bis Rosa als Weiß und, analog dazu, verschiedene Beige- und Brauntöne als Schwarz bestimmte.
Diese Konzeptionen von Schwarz und Weiß ließen ihrerseits Deutungen von «Hautfarbe» zu, die nunmehr, das griechische Ideal
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