Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
des
andreíkelon
aufgebend, Weißsein die Macht der Norm(alität) zuwiesen. Dabei wurden bestehende Sichtweisen von Weiß als Symbol überlegener Schönheit verstärkt und um Konnotationen wie Moral, Reinheit, Unschuld oder Jungfräulichkeit ergänzt. Negative Konnotationen, die in der griechischen Antike dem Weißsein anhafteten, wie etwa weibliche Feigheit, wurden jetzt auf Schwarze übertragen und charakterisierten People of Color. Schwarzsein wiederum galt als Schauplatz von fehlender Moralität, von Hässlichkeit und Promiskuität, Schande, Sünde und Ungehorsam sowie von sexueller und körperlicher Abnormalität.
Diese Farbsymbolik verbreitete die Malerei im Mittelalter und in der Neuzeit und erlangte im 15. und 16. Jahrhundert mit Michelangelo,Raffael oder da Vinci einen neuen Höhepunkt. Menschen
weißen
Teints werden, von (göttlichem) Licht durchflutet und von Engelwesen umrahmt, zu Symbolen christlicher Reinheit, während Schwarze als antithetisch ergänzte Randfiguren mit der Hintergrunddunkelheit verschmelzen. «Die 10-Gebote-Tafel» von Lucas Cranach d. Ä. von 1516 ist ein Beispiel aus der deutschen Gemäldegeschichte. Während ausschließlich Weiße das rechte Verhalten vorleben, werden die Sünden von monströsen Gestalten verkörpert, die meist weiblich und zudem Schwarz sind.
Auch in der Literatur wurde dieser Topos verbreitet. 1507/08 dichtete William Dunbar in «The Lady with the
Meikle Lips»
über eine versklavte Schwarze Frau, die einem Turnier nicht als Trophäe, sondern als Schandmal dient: der Verlierer ist verdammt, ihre Hüfte zu küssen. Ihre Hässlichkeit ist so vollkommen, dass sich die Sonne am Tag ihrer Geburt mit einer Sonnenfinsternis behalf. Sie hat «volle Lippen», ihre Gesichtszüge vergleicht er mit denen eines Affen, einer Katze und einer Kröte. Ihr Leib gleiche einem Teerfass und ihre Haut glänze von vergeblichen Versuchen, sie reinzuwaschen.
In der Bibel wird nicht ausdrücklich von «Hautfarben» gesprochen (außer z.B. in Jeremia 13,23), was dazu führt, dass Adam und Eva sowie Maria, Joseph und Jesus entgegen archäologischer und religionsgeographischer Befunde in Deutschland gemeinhin als
weiß
wahrgenommen werden. «Hautfarbe» spielt bei Isaaks und Rebeccas Sohn Esau eine Rolle. Sie «war rötlich, ganz rau wie ein Fell» (1. Mose 25,25). Seine Position als Außenseiter deckt sich damit, dass er sein Erstgeburtsrecht an seinen Bruder Jacob für ein Linsengericht verkauft und es Gottes Wille ist, dass er ein Volk repräsentiert, das dem des jüngeren Bruders als unterlegen gesetzt wird (25,23). Während Jacob als Stammvater der Israeliten gilt, gilt Esau als Stammvater der Edomiter (Edom bedeutet «rot»). Auch im Fluch, den Noah seinem Enkel Kanaan auferlegt (1. Mose 9), spielt «Hautfarbe» eine, wenn auch implizite, Rolle. Als Ham seinen nackten betrunkenen Vater anschaut statt ihn – wie seine Brüder Sem und Japeth – blicklos zu bedecken, wird er, ebenso wie sein Sohn Kanaan und damit all ihre Nachfahren, dazu verdammt, Japeth und Sem und deren Nachfahren zu dienen. Unzählige Philosophen und Theologen haben diesen Fluch herangezogen, um die europäische Versklavung von Afrikaner_innen als rechtens zu deklarieren. Ham geht etymologisch auf «dunkel» und «heiß» zurück. Dazu passt, dass Ham und Kanaanals Stammväter vieler afrikanischer (und einiger asiatisch-arabischer) Kulturen gelten, während Japeth in der biblischen Genealogie der Stammvater zahlreicher europäischer Völker einschließlich der Griech_innen ist – und Sem wiederum der Stammvater des jüdischen Volkes und in heutiger Kartographie auch der Völker des Nahen Ostens.
Letztlich hat sich die christliche Farbsymbolik in Konstruktionen von «Hautfarbe» eingeschrieben. Schwarze Schafe mag es geben, die Redewendung aber will uns zeigen, dass zur Norm nur gehört, wer so ist, wie die Mehrheit – die weißen Schafe.
21. Was erzählt uns die «Hautfarbe» von Parzivals Bruder? Parzival, Wolfram von Eschenbachs berühmter Gralssucher, hatte einen Halbbruder namens Feirefiz, gezeugt von ihrem gemeinsamen Vater Gahmuret und Belacane, einer Schwarzen Königin. Die beiden verband «süezer minne» [süße Liebe] (I.1 44 28). Dies könnte die Auffassung bestätigen, dass «Hautfarben» im Mittelalter noch nicht als Orte symbolischer Positionen und Differenzen galten. Doch nur zwei Zeilen später wird genau diese «Ungleichheit» als Vokabel aufgerufen, wenn es heißt: «ungelîch war
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