Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Frage gestellt, ohne dass der Kolonialismus als System in Zweifel gezogen oder gar der Rassismus als Wissenssystem kritisch reflektiert worden wäre.
15. In welchem Verhältnis stehen Imperialismus und Kolonialismus zueinander? Es ist umstritten, ob und wie Kolonialismus und Imperialismus voneinander abgesetzt werden können. Manche versuchen dies räumlich – das imperiale Land ist die Metropole, von der Macht ausgeht, und die Kolonie oder Neo-Kolonie ist der Ort, der von dieser Metropole kontrolliert und gesteuert wird –, andere zeitlich. Edward Said meint, Kolonialismus sei immer erst eine Konsequenz des Imperialismus und nicht umgekehrt, während andere sagen, beide seien historisch gleich alt und die Übergänge seien so fließend, dass beide Begriffe nur schwer voneinander abzugrenzen seien. Den breitesten Konsens findet die These, Imperialismus habe erst in der zweiten Phase des Kolonialismus eingesetzt, deren Beginn am Ende des 19. Jahrhundert liege. Andere wiederum vertreten die These, Kolonialismus und Imperialismus existierten zeitlich wie räumlich losgelöst voneinander. Imperialismus könne auch ohne Kolonien bestehen, weil er sich auch über nicht-koloniale Strukturen realisieren kann, Kolonialismus wiederum gebe es – nach Ansicht des Historikers Jürgen Osterhammel sogar im Regelfall – unabhängig von Imperialismus.
Die in den USA lehrende Literaturprofessorin Ania Loomba bezeichnet den Kolonialismus als «Hebamme, die die Geburt des europäischen Kapitalismus» unterstützend begleitete. So wie der Frühkolonialismus mit dem Frühkapitalismus zusammenfällt und diesen stärkt, verdankt sich die Industrielle Revolution auch der Tatsache, dass die europäische Versklavung afrikanischer Menschen ein komplexes Handelssystem etablierte, dessen Profite in die Metropolen Europas flossen und die kolonisierten Länder nachhaltig ökonomisch in die Knie zwangen. Dieses globale Wirtschaftssystem samt des ihm einverleibten Prinzips ökonomischer Ungleichheit erreichte im Imperialismus seinen Höhepunkt. Der Kolonialismus wiederum ist sein markantester Spezialfall.
II. Rassismus vor der Aufklärung
16. Was hat Aristoteles mit Rassismus und Sklaverei zu tun? Um Abgrenzungsprozesse zu legitimieren und im Kontext von Eroberungskriegen und Sklaverei kam es im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. zur Konstruktion einer kulturellen Differenz zwischen «Griechen» und «Nicht-Griechen», von Ersteren zumeist als «Barbaren» bezeichnet. Dabei spielten Klimatheorien eine entscheidende Rolle.
Herodot begriff den Unterschied zwischen den Griechen im Westen und den Völkern des Ostens einerseits als geschichtliches Phänomen, andererseits führte er ihn auch auf Bedingungen zurück, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Insbesondere im 2. Historienbuch, das vor allem Ägypten behandelt, greift er auf das Klima zurück, um Differenzen der Körpergrößen verschiedener Völker zu erklären. Ausgereifter treten klimatheoretische Überlegungen erstmals in dem Hippokrates zugeschriebenen Traktat
De aere, aquis et locis
(Über Luft, Wasser und Orte) aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Erscheinung. Er vertritt die These, dass sich Asien «hinsichtlich der Naturen der Dinge, die aus der Erde kommen, wie auch ihrer Bewohner» am stärksten von Europa unterscheide, wobei es innerhalb Asiens wiederum ebenfalls Unterschiede gebe. Dabei stellt er einen Zusammenhang zwischen dem Klima, der «Gestalt der Völker» und deren Mentalität her. Bei den Asiat_innen etwa habe die «Natur» das Aufkommen von «Eigenschaften wie Tapferkeit, Standhaftigkeit gegenüber Ungemach, Straffheit und Mut» verhindert.
Aristoteles war als Lehrer Alexanders des Großen bestrebt, dessen Eroberungszüge sowie die griechische Ausgrenzungspraxis gegenüber den «Anderen» philosophisch und
politikberatend
zu unterlegen. In Anlehnung an Hippokrates geht Aristoteles vom Zusammenhang zwischen klimatisch bedingten körperlichen und mentalen Eigenschaften aus. In
Problemata
schreibt er z.B., dass Menschen in extrem kalten oder heißen Gebieten ihrem Wesen und Verhalten nach roh seien. Solchen Überlegungen folgend entwickelt er in seiner
Politik
eine Theorie der Sklaverei. Diese sei naturgegeben und daher gerecht. So wie die Verbindung von Männlichem und Weiblichem ein um der Fortpflanzung willen naturgemäßes Streben sei, sei es zum Zwecke der Lebenserhaltung erforderlich, dass «das eine», das Eigene, die Griechen, «zum
Weitere Kostenlose Bücher