Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
durch rassialisierende Interpretationen von «Hautfarbe». Es gab unter den (Früh)Aufklärern Abolitionisten wie auch privat am «Sklavenhandel» Beteiligte (z.B. der Philosoph John Locke). Als philosophische Bewegung hat die Aufklärung Sklaverei nicht geschwächt oder hinterfragt, sondern ihr Rückhalt gegeben.
Um Sklaverei zu rechtfertigen, wurden Afrikaner_innen als außerhalb des Menschlichen stehend deklariert. In der Aufklärung wurde das nicht erfunden, aber theoretisch abgesichert. «Rassen» wurden wissenschaftlich konturiert, um Afrika jeden Beitrag zu sozialer Dynamik und Fortschritt sowie jedes Verständnis für Moral, Verstandund Freiheit abzusprechen. Dieses rassistische Unterfangen positionierte Afrikaner_innen als unmündig und unerreichbar für die Werte der Aufklärung und diese damit, im Umkehrschluss, als nicht zuständig für sie.
Das
weiße
westliche Subjekt der Aufklärung und ihrer Moderne beförderte «den frühen Kolonialismus und Versklavungshandel auf das profitabelste» und wurde dabei «wiederum in erstaunlich effektiver Weise selbst befördert», schreibt die Amerikanistin Sabine Broeck: «Ohne eine binäre Struktur, in der das nicht erleuchtete sogenannte ‹Wilde› wie auch ‹das Weibliche› immer schon strukturell als das Objekt des rationalen, sichtbaren messenden Subjekts gesetzt und damit als primitiv konnotiert und ausgegrenzt ist, egal welche Form oder welchen Inhalt es annimmt, ist Aufklärung gar nicht zu denken.»
Bis heute wird die Aufklärung oft unkritisch als Wiege der europäischen Überlegenheit gewürdigt, wobei die hier vom Schreibtisch aus legitimierten Verbrechen an Afrikaner_innen und anderen People of Color nicht thematisiert werden. In einer rückwärtsgewandt lesenden Historiographie steht Aufklärung als Erfindung von Freiheit und in dieses Geschichtsbild will es so ganz und gar nicht passen, dass diese Erfindung von Freiheit nicht von Anfang an Versklavung und Kolonialismus widersprach. So werden Aufsätze von Immanuel Kant und anderen, die Verbrechen an der Menschlichkeit legitimieren, oft vorschnell mit der Bemerkung abgetan, dass dies ja nur ein Aufsatz von vielen sei und dieser oder jener Absatz einen Fehltritt ausmache, der das große Ganze nicht trübe. Abgesehen davon, dass es sich nicht nur um einzelne Absätze oder Aufsätze handelt, kann es nicht um Quantität gehen. Aber so wenig es trägt, die Verantwortung der Aufklärung für den europäischen Versklavungshandel zu bagatellisieren, so wenig ist es ergiebig, ihn zu skandalisieren. Es geht darum zu verstehen, warum Intellektuelle wie David Hume oder Immanuel Kant sich dafür einsetzten, die Unterteilung von Menschen nach «Rassen» und die unüberwindbare Unterlegenheit von Schwarzen nachzuweisen.
34. Warum führte Kant die Idee der «Rassen» in Deutschland ein? Immanuel Kants erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit «Rasse» findet sich in seinem 1764 erschienenen Aufsatz
Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen.
Hier operiert er noch mit dem Begriff «Menschengeschlechter», in seinem 1775 veröffentlichtenAufsatz
Von den verschiedenen Racen der Menschen
verwendet er den Begriff «Rasse». Grundlagen seiner Überlegungen bilden Berichte von Missionaren und Reisenden sowie Abhandlungen von Philosophen und Medizinern wie Linné, Buffon, Hume oder Montesquieu. Wie die Germanistin Peggy Piesche analysiert, versucht Kant, eine «Rassenhierarchie» zu konstruieren, die auf «Rationalität», «Moral», «Mündigkeit», «Erziehbarkeit» und «Faulheit» als Differenzierungsmerkmalen aufbaut und seinen wesentlichen Anker im Konzept der «Vernunft» findet, das den
weißen
Mann zum Zentrum und zur Norm des Fortschritts erhebt.
Oft wird die These vertreten, Kants «Rassebegriff» sei neutral oder fortschrittlich angelegt. Dabei wird auf seinen monogenetischen Ansatz verwiesen, der der Polygenese etwa Voltaires gegenüber steht. Obgleich Kant von der Einheit der «Naturgattung Mensch» ausgeht, sieht er innerhalb derselben «große Verschiedenheiten». So stellt er der Einheit der «Naturgattung Mensch» die Mannigfaltigkeit der «Schulgattung» gegenüber: Biologische Gemeinsamkeiten zielen auf die Möglichkeit menschlicher Fortpflanzung ab (Naturgattung), während Kant phänotypische Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Herkünfte (Schulgattung) weitaus stärker gewichtet. Er vertritt zudem klimatheoretische Ansichten und baut als Unterscheidungsmerkmale
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