Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
wurden rassistisch «Rheinlandbastarde» genannt. Die Nationalsozialist_innen brauchten von der deutschen Gesellschaft keine Proteste zu befürchten, als sie diese ab 1937 zwangssterilisierten. Sie erlangten als Opfer des NS-Regimes nach 1945 lange Zeit keine Anerkennung.
48. Wer befreite Deutschland vom Nationalsozialismus? Der Zweite Weltkrieg, von den Achsenmächten Deutschland und Japan entfesselt, begann am 7. Juli 1937 und endete am 2. September 1945. Diese Daten setzen aber voraus, den Weltkrieg auch als solchenzu begreifen und nicht allein die europäischen Kriegsschauplätze (1. September 1939 bis 8./9. Mai 1945) im Blick zu haben. Über 60 Staaten waren weltweit beteiligt, über 110 Millionen Menschen standen unter Waffen und bis zu 70 Millionen Menschen kamen ums Leben.
Der senegalesische Schriftsteller Sembène Ousmane (1923–2007) wies u.a. mit seinen Filmen
Emitai
(1971) und
Camp de Thiaroye
(1989) sehr erfolgreich auf ein zentrales Kapitel der Weltkriegsgeschichte hin, das in Europa und vor allem Deutschland bis heute weithin unbeachtet geblieben ist. Darin spürt er mit künstlerischen Mitteln, aber auf Tatsachen beruhend nach, wie Afrikaner_innen am Kampf für die Befreiung von Faschismus und Nationalsozialismus beteiligt waren. Das gilt analog auch für Millionen Asiat_innen, Australier_innen und Amerikaner_innen.
Im Zweiten Weltkrieg kämpften auf Seiten der Alliierten Millionen People of Color. Ihre Motive und Erfahrungen mögen verschieden gewesen sein, jedoch ist ihr Beitrag zur Zerschlagung des NS immens. Millionen von ihnen kehrten körperlich wie seelisch beschädigt, aber auch revolutioniert zurück. Die Erfahrungen, die sie im Zweiten Weltkrieg sammelten, gelten als wichtiger Katalysator für den antikolonialen und antirassistischen Befreiungskampf. Sie hatten weltweit erlebt, dass die unterdrückenden
weißen
Gesellschaften verwundbar sind. Zugleich mussten sie selbst im Krieg zusätzlich zu den üblichen Kriegsgräueln den Rassismus überleben. Das betrifft nicht nur den Rassismus der deutschen Wehrmacht: Wegen der Rheinlandbesetzung und wegen der rassistischen NS-Ideologie, die Schwarze als «Untermenschen» hinstellte, internierte die Wehrmacht zunächst keine Schwarzen Kriegsgefangenen. Sie hat Tausende Schwarze Soldaten nach ihrem Einmarsch in Frankreich 1940 in regelrechten Massakern hingerichtet. Dies gehört zum deutschen Vernichtungsfeldzug im Osten als schreckliche Ouvertüre im Westen dazu. Doch auch in den Reihen der Armeen, in denen People of Color für die Freiheit in Europa gekämpft hatten, wurden sie sowohl während der Kriegshandlungen wie auch danach rassistisch diskriminiert. Dieses Konglomerat an Erfahrungen wurde zu einem wichtigen Motor der antikolonialen Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt und auch des Kampfes gegen den Rassismus in den USA.
In den USA konnten Schwarze nach ihrer Rückkehr diese Erfahrungen für ihren eigenen Freiheitskampf nutzen. Eine Zeitschriftder Schwarzen Bürgerrechtsbewegung fragte am 1. Juni 1945: Wieso können wir den deutschen Rassismus beseitigen, unseren eigenen aber nicht? Obgleich der Zweite Weltkrieg die Beendigung der Segregation in der US-Army beförderte, dauerte die praktische Durchsetzung noch Jahrzehnte. Tatsächlich sind z.B. viele Schwarze Soldaten nach ihrer Rückkehr in die USA rassistisch diskriminiert worden, gerade weil ihnen der Rassismus die Anerkennung verweigern wollte, gleichberechtigt auf der Seite der Befreier_innen und Sieger_innen zu stehen. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf Schwarze Kriegsheimkehrer. In der dreiteiligen BBC-Fernsehdokumentation
Racism: A History
(2007) wird berichtet, dass 1946 im Durchschnitt ein Schwarzer Soldat pro Woche in den USA deshalb sein Leben verlor.
Weder weltweit noch, und besonders, in Deutschland ist annähernd angemessen gewürdigt worden, dass an der Befreiung vom Nationalsozialismus Millionen Schwarze beteiligt waren und Hunderttausende von ihnen für Freiheit und Demokratie, auch in Deutschland, ihr Leben opferten.
49. Was war der Porajmos?
Porajmos
bedeutet im Romani «das Verschlingen» und bezeichnet den nationalsozialistischen Genozid an den europäischen Sinti und Roma. Anders als die Shoa war es nach 1945 lange Zeit nicht selbstverständlich, den Genozid an den Sinti und Roma und den anderen als «Zi.» Verfolgten auch als solchen zu benennen und anzuerkennen. Dafür waren zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen konnten nicht nur viele
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