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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arndt
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Aufständischen verloren zwischen 75.000 und 300.000 Menschen ihr Leben. Völkermord und Konzentrationslager im Zusammenspiel mit Deportation und Versklavung, Vergewaltigung und Folterung, Prügelstrafe und Zwangsarbeit, Kopfsteuer und Landraub – das war im Kaiserreich mehrfach Gegenstand erbitterter öffentlicher und politischer Debatten.
    44. Warum begrüßte Karl Marx den britischen Imperialismus?   Die Schriften der beiden Historiker Augustin Thierry (1795–1856) und Francois Guizot (1787–1874) bildeten eine wichtige Quelle für Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895). Auf die beiden Franzosen geht nicht nur das Postulat, alle Geschichte sei eine Geschichte von Klassenkämpfen, das Marx und Engels wirkungsmächtig entfalteten, zurück. Der «Klassenkampf» selbst war eine Fortentwicklung des Theorems vom «Rassenkampf», wie ihn die beiden Historiker vertraten und damit keine Außenseiterposition einnahmen. Marx und Engels bauten ihre Theorie nicht nur auf Versatzstücken naturkundlicher Beobachtungen und Erkenntnisse auf, zugleich ist ihr Versuch, gesellschaftliche Entwicklungsgesetze (Gesellschaftsformationstheorie) ähnlich angeblicher Naturgesetze zu konstruieren, eine ganz und gar zeittypische Erscheinung im Jahrhundert der Wissenschaften. In
Die Lage der arbeitenden Klasse in England
(1845) verknüpft Engels «Rassenkampf» und «Klassenkampf» anschaulich. Arbeiter und Bourgeoisie, fasst er zusammen, seien «zwei ganz verschiedene Völker, so verschieden, wie sie der Unterschied der Rasse nur machen kann». Die «Klasse» sei als Teil des Industrialisierungsprozesses gleichsam mit natürlicher Gewalt entstanden. Soweit sie «an sich» existiere, entspreche sie selbst noch einem unbewussten Entwicklungszustand, wie er im Prinzip in derNatur zu beobachten sei. Erst wenn die «Klasse für sich» konstituiert, also mit dem nötigen Bewusstsein und den notwendigen politischen Strukturen ausgestattet sei, unterschieden sich menschliche Gesellschaftsprozesse von Naturprozessen.
    Engels baute seine historischen Betrachtungen über die Deutschen (1881/82) auf «rassetheoretischen» Annahmen seiner intellektuellen Zeitgenossen auf. Bei Marx zeigt sich die enge Verzahnung von revolutionärer Zukunftserwartung, historisch-gesetzmäßiger Weltdeutung einerseits und typischen Zeitdiagnosen einschließlich kolonialer Herrschaftspraxis andererseits besonders deutlich in seinen Aufsätzen zu Indien (1853). Anders als viele andere Autor_innen seiner Zeit brandmarkte er scharf die brutale Herrschaftspolitik des britischen Empires in Indien wie die europäische Eroberungspolitik überhaupt. Weil Marx aber zugleich davon überzeugt war, dass Gewalt in der Geschichte der Geburtshelfer neuer Gesellschaften sei, konnte er der Kolonisierung «an sich» durchaus positive Seiten abgewinnen. Denn das britische Empire habe, so Marx, die Voraussetzungen für eine «radikale Revolution der sozialen Verhältnisse in Asien» geschaffen und sich so als «das unbewusste Werkzeug der Geschichte» erwiesen. Er kritisiert, dass die britischen Eroberer die alten Gesellschaftsstrukturen zerstört hätten, ohne neue zu errichten. Indiens Kolonisierung erscheint bei ihm zweifach logisch. Erstens würde damit der ohnehin
gesetzmäßig
anstehende Modernisierungsprozess beschleunigt. Zweitens konstatiert Marx in diskursiver Nähe zu Hegel: «Die indische Gesellschaft hat überhaupt keine Geschichte, zumindest keine bekannte Geschichte.» Er gibt zudem zu bedenken, dass die «indischen Eingeborenen» selbst in einem Zustand roher Naturgewalt gelebt hätten und deshalb die Kolonisierung befördere, was die Einheimischen allein nicht zu Wege brächten. Vor diesem Hintergrund wiederum könne, so qualvoll dies auch mit anzusehen sei, die Kapitalisierung und gewaltvolle Klassenbildung in der indischen Gesellschaft historisch nur begrüßt werden.
    Dass die Klassentheorie aus einer ursprünglichen «Rassenhierarchie» adaptiert war, liegt nicht nur wegen der Zeitgebundenheit des Marxschen Denkens auf der Hand, sondern ist ebenso begründet in der materialistisch-gesetzmäßigen Geschichtssicht, die eine Fortschrittsgeschichte vom Niederen zum Höheren konstatiert und so mindestens aus klassentheoretischer Sicht Europas selbstbestimmteglobale Avantgarderolle stützt. Zudem fungiert bei Marx und Engels ganz selbstverständlich und kompromisslos das
weiße
Subjekt als Geschichtsakteur, während andere «Rassen» in diesen

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