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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arndt
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jüngst die Frage beantworten sollte, ob ich Stützstrümpfe in «hautfarben» oder schwarz bevorzuge, so hatte ich das Privileg, «hautfarben» zu antworten und meinem Alltagsgeschäft entspannt weiter nachzugehen. Ich musste mich nicht darüber empören, dass «hautfarbene» Strümpfe über ein Kassenrezept kostenlos zu haben sind, während schwarze Strümpfe als Luxusartikel gelten und deswegen selbst zu bezahlen sind. Ich musste mich auch nicht derFrage stellen: Wie wird eigentlich die Tönung der Haut von Menschen bezeichnet, die im Rassismus als Schwarze positioniert sind?
    Wenn bestimmte Farbtöne als «hautfarben» gelten, legt der Umkehrschluss ohne größere Denkakrobatik nahe, nicht gemeinte Farbtöne entsprechen eben nicht-menschlicher Haut. Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie stark sich Rassismus in unsere Alltagswelt und Alltagssprache ein- und festgeschrieben hat.
    62. Warum nennt jemand seinen Faschingsverein «Mohrenwäsche»?   «Mohr» ist die älteste deutsche Bezeichnung, mit der Weiße Schwarze Menschen bezeichnet haben. Zum einen steckt in «M.» das griechische
moros,
das töricht, einfältig, dumm und auch gottlos bedeutet, zum anderen das lateinische
maurus,
welches für schwarz, dunkel bzw. afrikanisch steht. Daraus wurde althochdeutsch
mor
abgeleitet.
    Bis ins 17. Jahrhundert hinein finden sich Nachweise, dass «M.» als Synonym für Äthiopier_innen (Sammelbegriff für alle Afrikaner_innen minus Ägypter_innen) gebraucht wird. Daneben etablierte sich seit dem 8. Jahrhundert ein anderer Gebrauch: «Moros» bzw. «Mauren» wurde zur Generalbezeichnung für Muslim_innen. Im Zuge der Versklavung von Afrikaner_innen kam es zur Genese des «N-Wortes», das ab dem 16. Jahrhundert die Verwendung des «M-Wortes» wieder einschränkte. Um «hellere» und «dunklere» Schwarze zu unterscheiden, wurde dem «N-Wort» das «M-Wort» gegenüber gestellt. Letzteres fand nun oft Verwendung, um Muslim_innen des afrikanischen Nordens zu benennen.
    Nach der Abschaffung der Sklaverei verloren sich diese Grenzziehungen und bis heute werden beide Begriffe weitgehend synonym gebraucht. Während aber inzwischen anerkannt ist, dass das «N-Wort» ein rassistisches ist, wird in diversen Wörterbüchern zur deutschen Sprache mit Blick auf das «M-Wort» lediglich betont, dass es veraltet sei. Im Alltag begegnet uns der Begriff jedoch ständig. Das Interesse, Lebensmittel mit diesem Wort anzupreisen, ist keineswegs geschwunden. In einigen Städten gibt es immer noch «Mohrenstrassen», hunderte weisen gar eine «Mohrenapotheke» auf. Unzählige Standfiguren, Schalen und Gemälde in Hotelhallen, Restaurants oder Wohnzimmern, die einen versklavten Schwarzen in Lendenschurz oder mit Musikinstrumenten, mit Dienerlivree oder mit Goldketten als Diener abbilden, zeigen verherrlichend Schwarze als Sklav_innen.
    Fast alle kennen das berühmte deutsche Sprichwort: «Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann geh’n», das auf Friedrich Schillers
Verschwörung des Fiesco zu Genua
von 1783 zurückgeht. In diesem Sprichwort tritt neben der Dienerfunktion von Sklav_innen ein weiterer Wortinhalt hervor: Schuld. Klassisch steht dafür das weltberühmte Kinderbuch
Struwwelpeter
von 1845. Was von dem Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann in dem Kapitel «Die Geschichte von dem schwarzen Buben» als Kritik am Rassismus (und nebenbei bemerkt auch an der Zensurpolitik des russischen Zaren) gemeint sein mag, erweist sich bei näherer Betrachtung als ihr Gegenteil. Der Schwarze Junge bleibt (anders als seine
weißen
Peiniger) namenlos, ist nackt und wird aufgrund seines Schwarzseins als hässlich hingestellt. Für sein Schwarzsein wird er bedauert. Die Strafe für seine Peiniger ist denn auch besonders unerbittlich: sie werden geschwärzt, um ihre Schuld abzutragen.
    Wegen dieser Schuld ist es auch sprichwörtlich ein sinnloses Unterfangen, einen «M.» weiß waschen zu wollen (der
Duden
betont, «Mohrenwäsche» sei der Versuch, einen Schuldigen mit Scheinbeweisen «reinzuwaschen»), was einschließt, auch Taufversuche seien vergebens. Philipp Khabo Köpsell beobachtete 2011: In der «Mohrenapotheke» geht «der moderne Bayreuther nämlich sein Aspirin holen, wenn er in der Nacht zuvor in der ‹Mohrenstube› zu viel ‹Mohrenbräu› getrunken hat, nachdem er im Fastnachtszug der ‹Bayreuther Mohrenwäscher e. V.› … womöglich als ‹Mohr› verkleidet durch die Straßen gestolpert ist.» Unglaublich, aber wahr:

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