Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
Vom Netzwerk:
andere aus der Luft angriffen.
    Chemluth kannte, wie alle Tabakhütchen, keine Angst. Das heißt nicht, daß er mutig war, denn mutig kann nur jemand sein, der die Angst kennt und sie überwindet. Es war einfach so, daß Tabakhütchen dieses Gefühl völlig abging, weil sie grünes Blut hatten und in ihrem Blutkreislauf das Adrenalin fehlte. Ein Tabakhütchen bemerkte zwar, wenn es in Gefahr war, aber es machte sich einfach nichts daraus. Wurde es von einem drei Meter großen Dschungelgorilla angegriffen, dann machte es sich keine Gedanken darüber, daß es eventuell den kürzeren ziehen könnte, sondern stürzte sich umgehend in den Kampf. Die Verblüffung darüber war oft so groß, daß turmhoch überlegene Gegner in die Flucht geschlagen wurden. Das machte Tabakhütchen trotz ihrer geringen Körpergröße zu extrem guten und gefürchteten Kämpfern. Als Dschungelbewohner wußte Chemluth auch, wo Raubaffen und Dschungelkatzen am empfindlichsten zu treffen waren: auf ihren feuchten Nasen. Ein kleiner gezielter Fingerstoß genügte, um eine Vampirkatze minutenlang außer Gefecht zu setzen, man mußte nur genau treffen.
    Chemluth beherrschte eine südbrasilianische Kampfsporttechnik namens Flamenkador (er besaß sogar einen bunt bestickten Gürtel, der ihn als Meister neunten Grades dieser Sportart auszeichnete), eine elegante Mischung aus Flamenco, Karate und den Bewegungen eines Toreros. Er stand einfach da, bewegte sich kaum von der Stelle, eine Hand an der Hüfte, die andere über dem Kopf, wie eine Schlange, die jeden Augenblick zustoßen kann. Dabei drehte er sich mit kleinen Trippelschritten um die eigene Achse, stampfte ab und zu mit dem Fuß auf (was dem Kampf einen beinahe tänzerischen Rhythmus gab), dann wieder tat er einen schnellen Schritt zur Seite, um eine Katze ins Leere oder gegen eine Wand rennen zu lassen.
    Ab und an stieß er zu, mit zwei zusammengepreßten Fingern, blitzschnell von oben herab und immer entweder auf die Nase oder auf einen schmerzempfindlichen Punkt unter den Rippen. Dazu brummte er Flamencomusik.
    Meine eigene Technik war weniger durchdacht und antrainiert, sondern spontan und instinktiv. Ich war selbst erstaunt über die Kräfte, die so ungenutzt in mir geschlummert hatten. Der Bär gilt als eines der gefährlichsten Raubtiere dieses Planeten, ich wußte es damals nur noch nicht, weil ich zu beschäftigt gewesen war, in Stollenlabyrinthen herumzuirren, Schulbänke zu drücken oder sonstweiche bärenuntypischen Dinge zu tun. Ein Prankenhieb von mir genügte, um eine dieser Großkatzen einen doppelten Salto schlagen zu lassen, ein Biß, um eine andere winselnd ins Dunkel zu jagen. Ich teilte schnell und mächtig aus, immer genau gezielt, ohne eine überflüssige Bewegung oder meine Deckung zu vernachlässigen, wie ein Profiboxer mit Krallen. Wenn die Vampire tatsächlich so feige gewesen wären, wie ihr Ruf es nahelegte, dann hätten sie schon längst das Weite gesucht. Aber sie blieben am Ball, egal wie schmerzhaft wir sie trafen oder wie hart sie auf dem Boden landeten, sie verschwanden nur kurz in den düsteren Domecken und griffen wieder von neuem an.
    Sie hatten eine einfache, aber wirkungsvolle Taktik: Sie arbeiteten in Schichten. Wenn die eine Hälfte müde wurde, zog sie sich zurück und leckte ihre Wunden, dann übernahm die andere Gruppe. Während Chemluth und ich uns verausgabten, konnten sie immer wieder neue Kräfte sammeln. Auf lange Sicht würden wir dabei den kürzeren ziehen. Eine große Katze hatte sich von hinten angeschlichen und in meinem Fell verbissen, eine andere kauerte vor mir und verpaßte mir schmerzhafte Tatzenhiebe gegen die Beine, eine dritte flatterte über meinem Kopf und schnappte nach meinem Gesicht, als ich bemerkte, daß meine Kräfte endgültig erschöpft waren. Ich konnte kaum noch die Arme heben und überlegte, ob ich nicht einfach die Deckung sinken lassen und mich meinem Schicksal ergeben sollte. Aber genau in diesem Augenblick ließen die Vampire von uns ab und zogen sich zurück, wie auf ein geheimes Kommando. Übel zerzaust und nach Luft japsend, standen wir plötzlich ganz allein. Ein mir unbekanntes und nichts Gutes verheißendes Geräusch ließ die Luft vibrieren, ein elektrisches Zittern, dem Zirpen von sehr großen Grillen nicht unähnlich.
    »Los Chucharrachas!« sagte Chemluth.
    »Was?«
    »Kakertratten. Ga. Sehr viele.«
    In zehn Metern Entfernung von uns schien der Boden des Doms lebendig geworden zu sein. Eine Masse von sich

Weitere Kostenlose Bücher