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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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übereinanderschiebenden Lebewesen bewegte sich auf uns zu, hier und da konnte ich lange Insektenfühler erkennen, die in der Nachduft zitterten. Ab und zu flog eine der Kakertratten mit wilden Flügelschlägen hoch, dann konnte man ihren abscheulichen Schattenriß für kurze Zeit im Mondlicht sehen, bevor sie sich wieder in die Meute fallen ließ. »Ich denke, hier gibt es keine Kakertratten!« Der verhaltene Vorwurf in meiner Stimme war hoffentlich nicht zu überhören.
    »Aah - Kakertratten - sie haben keinen Stil!« schnaubte Chemluth verächtlich. »Immer da, wo sie nicht erwünscht sind.«
    Ganz zutreffend war das nicht, denn zumindest hatten die Kakertratten uns für einen Augenblick das Leben gerettet. Vielleicht nur, um es uns selber zu nehmen, aber immerhin: Die Vampirkatzen hatten das Weite gesucht. Offensichtlich vernunftbegabte Wesen.
    »Wir rennen ganz einfach zum Eingangstor«, schlug Chemluth vor.
    Klar. Wieso eigenlich nicht?
    Kakertratten, die [Forts.]: Begegnet man einer oder mehreren Kakertratten, ist man gut beraten, sich nicht zu schnell zu bewegen, sondern eine möglichst balletthafte, fließende Fortbewegungsform zu wählen. Kakertratten reagieren nur auf ruckartige, hastige Bewegungen. Sie haben kein Gehirn, daher vermuten sie, daß alles, was sich fließend bewegt, Wasser ist.
    Das war einer der Ratschläge von der Sorte wie der, man sollte ganz stillhalten, wenn ein Tyrannowalfisch Rex auf einen zuschwimmt oder ein wütendes Phorinth mit gesenktem Horn Anlauf nimmt. Mir fiel es sehr schwer, dieser Empfehlung das nötige Vertrauen entgegenzubringen. Würde ich meinem Herzen folgen, wäre ich jetzt schreiend und mit den Armen rudernd die Treppe hinuntergestürzt. Aber ich gab mir alle Mühe, mich zu bewegen wie eine Ballerina in Zeitlupe.
    »Ganz langsam gehen!« preßte ich zwischen den Zähnen hervor. »Dann halten sie uns für Wasser.«
    Chemluth sah mich mißtrauisch an. »Ga? Sie halten uns für Wasser? Wie kommst du darauf?«
    »Ich habe ein Lexikon im Gehirn. Das erzählt mir manchmal solche Sachen«, zischte ich, während ich mit ausgebreiteten Armen die Treppe hinunterstieg wie ein Seiltänzer auf einem abschüssig gespannten Seil.
    »Hast ein Lexikon im Gehirn. Ga. Ich verstehe ...«
    »Naja ... es ist nicht direkt ein Lexikon. Es ist eigentlich ein Eydeet! Mit sieben Gehirnen! Er kann im Dunkeln sehen und eine Dose Ölsardinen mit seinem Verstand öffnen. Er spricht in meinem Kopf.«
    Chemluth sah mich mit diesem Blick an, den man Fieberkranken schenkt, wenn sie irre reden.
    »Hör zu«, sagte Chemluth. »Du hast vorübergehend den Verstand verloren! Das ist in Ordnung, ga? Das ist keine Schande angesichts einer solchen Gefahr. Ich übernehme das Kommando, ga? Wir werden einfach schreiend mit ausgebreiteten Armen die Treppe hinunterlaufen.«
    Ich sah die Treppe hinunter.
    »Nein«, sagte ich. »Das werden wir nicht tun.«
    »Wieso nicht?«
    »Deswegen.« Ich wies mit der Nase auf den unteren Treppenabsatz.
    Von dort schob sich eine andere Abteilung der Kakertrattenarmee die Stufen hoch. Tausende folgten ihnen in einem breiten Strom von der Domtür aus. Durch sämtliche Öffnungen, durch eingeschlagene Fenster und Mauerspalten quollen die Rieseninsekten in den Dom. Wir waren komplett eingeschlossen.
    »Wir werden sterben«, sagte ich.
    »Ga, wir werden sterben.« Chemluth widersprach ausnahmsweise nicht. Trotzdem konnte ich spüren, daß er nach etwas suchte, womit er der Situation etwas Positives abgewinnen konnte.
    Ihm fiel nichts ein.
    Die Kakertratten schwappten in einer einzigen breiten schwarzen Welle die Treppe herauf. Das elektrische Knistern ihrer Kakerlakensprache wurde vom Echo des Doms vielfach verstärkt.
    Unter meinen Füßen bewegte sich etwas. Ich war im Dunkeln mitten auf eine Kakertratte getreten! Angeekelt sprang ich einen Schritt zur Seite und griff mir einen Gesteinsbrocken, um ihn dem Insekt über den Schädel zu schmettern. Ich hob ihn mit beiden Armen hoch über den Kopf, aber dann sah ich, daß es doch keine Kakertratte war. Die Stufe versank in der Treppe, dann die nächste unter ihr und noch eine dritte.
    In der Treppe klaffte jetzt ein Loch, durch das ein Pferd gepaßt hätte.
    Chemluth sprang hinein, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.
    »Aua!« rief er von unten. »Komm schon! Ga! Spring! Ist nicht tief!«
    Ich warf den Stein in die Kakertrattenmasse, wo er einem der Insekten mit einem häßlichen Knacken den Chitinpanzer zertrümmerte. Etwas

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