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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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lediglich ihr langer weicher Schwanz. Das Gehirn einer Kakertratte wurde auch nach sorfältigsten Autopsien bisher nicht gefunden, man nimmt daher an, daß die Steuerungszentrale des Körpers irgendwo im Magendarmbereich liegt, der den Großteil der Innereien ausmacht. Es fehlt weiterhin das Herz, das durch eine übergroße Leber ersetzt ist, um selbst giftigste Lebensmittel gefahrlos zu verdauen und nebenher für den Kreislauf des Blutes zu sorgen, das die Farbe, den Geruch und die Konsistenz von verdorbenem Eigelb hat. Kakertratten bevorzugen den Schutz der Dunkelheit, um auf die Jagd nach Nahrung zu gehen, welche in der Hauptsache aus Hausmüll und Aas besteht, in Zeiten des Notstands greifen Kakertratten aber auch größere Lebewesen an. Die Kakertratten sind die einzigen bekannten Aasfresser, die sogar die Knochen, Fußnä- gel und Wimpern ihrer Opfer verspeisen.
    »Igitt! Bist du sicher, daß es hier keine Kakertratten gibt?«
    »Ganz sicher ist man nie, ga?«
    Langsam meldeten sich bei mir erste Zweifel an Chemluths Qualifikation als Fremdenführer.
    »Wie oft hast du schon hier übernachtet?«
    »Oft!«
    »Wie oft?«
    »Viele Male.«
    »Komm schon! Wie viele Male?«
    »Ääh ... einmal.«
    »Einmal? Ehrlich? Wann war das?«
    »Na schön - heute! Ist erstes Mal, ga? Wie alles im Leben! Jetzt zufrieden? Können wir jetzt endlich schlafen? Ga?«
    Während Chemluth Havanna schon nach wenigen Minuten von gleichmäßigen Atemgeräuschen zu traumseligem Piepsen überging, lag ich noch lange wach. Die Ereignisse des Tages, all diese beeindruckenden Dinge, die ich gesehen hatte, der immer noch nagende Hunger und vor allen Dingen unsere unheimliche Behausung ließen mir keine Ruhe.
    Wieso stand ein so prächtiges Gebäude, auch wenn es halb verfallen war, vollkommen leer? Ich hatte Leute in Blechhütten und Zelten hausen sehen, wieso kamen sie nicht in diese Gegend, wo Hunderte von riesigen Prachtbauten leer standen und sinnlos verfielen? Ich dachte an die Bewohner der umliegenden Gegend, die uns kopfschüttelnd hinterhergesehen hatten, als wir in Richtung des Domes liefen. Ich dachte an meine Ungewisse Zukunft in dieser verwirrenden Stadt. Dann schlief ich aber doch ein, überwältigt von schierer Erschöpfung.
    Ich träumte davon, daß ich mit Chemluth eine Wohnung in einem der marmornen Löwen bezog, die eigentlich eine riesige Wohnküche war, mit mehreren luxuriösen Kochherden, mit heißen Steinen, auf denen mächtige Steaks ihrer Vollendung entgegenbrutzelten; ich träumte von großen Ofen, in denen dekadent belegte Hoawief-Pizzas Käseblasen warfen, riesigen Töpfen auf großen Feuern, in denen fette Suppen köchelten.
    Ich selbst hatte einen mehrere Meter langen Löffel in der Hand und die Aufgabe, von allen Suppen zu kosten. Aber jedesmal, wenn ich es geschafft hatte, etwas Suppe aufzuschöpfen, wurde die Wohnung größer und größer, und mit ihr wuchs mein Löffel, so daß ich die Suppe mit meinem Mund nicht mehr erreichen konnte. Ich wurde wütend und warf den langen Löffel durch ein Fenster, aber durch das zerborstene Fenster flatterten Dutzende von Kakertratten herein und begannen sofort, alles zu fressen. Eine davon setzte sich auf meine Brust und fing an, meine Wimpern zu essen. Ihr Gewicht war unerträglich, ich glaubte zu ersticken, denn die Kakertratte aß auch meinen Atem. Dann wurde ich wach - und die Wirklichkeit war fast noch schlimmer als mein Alptraum: Auf meinem Mund saß gierig pfeifend eine achtbeinige Kleinolfaktille und inhalierte meinen Mundgeruch, während auf meinem Brustkorb ein fetter Nachtmahr hockte und mich frech angrinste.
    Mit einem Schrei fegte ich die Olfaktille von meinem Mund, sie landete auf dem Steinboden, wuselte im Zickzack davon und verschwand in einer Ruinenritze. Dem Nachtmahr versuchte ich einen Faustschlag zu verpassen, aber er duckte sich geschickt darunter weg, flatterte hoch und verschwand meckernd im Dunkel des Doms.
    Kreischend sprang ich auf und überschüttete Chemluth mit Vorwürfen. Er hatte überhaupt keine Ahnung, was los war, denn er kam erst langsam zur Besinnung.
    »Du hast schlecht geträumt, ga«, sagte er gleichgültig.
    »Schlaf weiter!«
    »Das war kein Traum! Da war ein Ding auf meiner Brust! Und ein anderes auf meinem Gesicht!« (Ich hatte damals noch keine Ahnung, was Olfaktillen und Nachtmahre sind, aber es hätte an meinem Zustand auch wenig geändert.) Ich war viel zu erregt, um mich auch nur hinzusetzen. Schwer atmend blieb ich stehen und

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