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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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vorzuwerfen. So was bringst du nicht fertig.«
    »Doch, bring' ich. Das ist mein Job.«
    »Bringst du nicht!«
    »Hör mal zu, Junge!« sagte der Stollentroll plötzlich sehr ernst, und in seinen Augen stand tatsächlich ein Ausdruck aufrichtigen Bedauerns. »Du scheinst den Ernst deiner Lage nicht zu erfassen. Ich bin ein Stollentroll. Das verabscheuungswürdigste Lebewesen Zamoniens. Selbst wenn ich wollte - was ich nicht tue! -, könnte ich dir nicht helfen. Es ist ganz einfach gegen meine Natur. Alles, was ich will - und alles, was ich kann -, ist, dir nicht zu helfen! Ich bin die falscheste Person, die dir in dieser Situation begegnen konnte. Ich meine, es wäre jetzt extrem leicht für mich, dir zu helfen - ein Klacks! Und trotzdem tue ich es nicht. Dahinten im Wald lungert eine Riesenspinne, so groß wie ein Haus, und das einzige, was ich machen müßte, um dich vor ihr zu retten, ist ein bißchen Wasser zu besorgen. Aber ich ziehe es lieber vor, dich deinem Ungewissen, nein, doch eher gewissen Schicksal zu überlassen! So was bringen nur Stollentrolle fertig. Sogar die Chance, daß die Spinne dich persönlich befreit, ist größer als die, daß ein Stollentroll das machen würde. Denk mal drüber nach!«
    Der Troll verschwand im Unterholz.
    »Tut mir wirklich leid!« fief er noch. »Das heißt - eigentlich nicht mal das! Kähähä!«
    In mir stieg eine Wut auf, wie ich sie mir selbst nie zugetraut hätte. Kreischend und fluchend zerrte ich am Spinnennetz und schrie dem Troll Verwünschungen hinterher, die selbst eine so verhaßte Kreatur wie er wohl noch nicht gehört hatte (ich übrigens auch nicht). Ich riß an dem klebrigen Tau, daß die Bäume wackelten, die Tobsucht schien mir Riesenkräfte zu verleihen. Ich zerrte an dem Spinnenfaden, bis mir das Blut in den Schläfen pochte. Er dehnte sich tatsächlich ein wenig und wurde immer dünner. Ich zog noch stärker und gab Geräusche von mir wie ein Gewichtheber kurz vor dem Leistenbruch. Das Spinnenseil wurde dünn wie ein Seidenfaden, es dehnte sich fast bis zur Unsichtbarkeit - aber es zerriß nicht.
    Schließlich verließen mich die Kräfte, der Faden zog sich wieder zusammen zu einem dicken Tau. Ich brüllte und tobte in den Wald hinein, ich kreischte dem Troll hinterher, daß ich ihn bis in alle Ewigkeit verfolgen und was ich mit ihm anstellen würde, ich veranstaltete das wahrscheinlich lauteste Spektakel, das der Große Wald in seiner vieltausendjährigen Geschichte gehört hatte. Bis mir plötzlich klar wurde, was ich da eigentlich tat: Ich läutete persönlich für die Waldspinnenhexe die Essensglocke.
    Nirgendwo ist ein Geräusch lauter als in einem Wald, in dem es sonst keine Geräusche gibt. Man glaubt, in einem Gebirgstal oder in einer Kathedrale gäbe es das gewaltigste Echo, aber nirgendwo ist es eindrucksvoller als in einem toten Gehölz. Ungestört von Käuzchenschreien und Insektengeknister oder sonstigem Getön prallt es von Baum zu Baum, von Blatt zu Blatt, von Fichtennadel zu Fichtennadel, bis es zu einem Monstrum von einem Laut herangewachsen ist, viel größer als dort, wo es erzeugt worden ist. Das allein ist schon beängstigend genug. Doch da war nicht nur ein Monstrum von einem Laut, sondern auch noch der Laut von einem Monstrum.
    Spinnen bewegen sich gewöhnlich lautlos, aber das gilt nur für die unteren Gewichtsklassen. Ich hatte es hier mit einer Fünfzig-Zentner-Spinne zu tun, und ich hörte, wie sie weit hinten im Wald ihre meterlangen Beine wie Holzpfähle in den Waldboden rammte. Es war zunächst nur ein leichtes Vibrieren des Waldbodens, dann nahm ich einen achtfachen Laufschritt wahr, der zielstrebig und schnell auf mich zuzukommen schien.
    Bromm! (eins) Bromm! (zwei) Bromm! (drei) Bromm! (vier) Bromm! (fünf) Bromm! (sechs) Bromm! (sieben) Bromm! (acht). Acht Bromms. Acht Beine. Die Spinne war also ausgewachsen.
    Über die Lichtung segelte in mehreren Kilometern Höhe ein winziges Regenwölkchen, wahrscheinlich ein verspäteter Nachkömmling des Finsterberggewitters. Ich starrte die Wolke an. Vielleicht konnte ich sie durch Hypnose dazu bringen, ein paar Tröpfchen zu spendieren. Ich starrte, bis mir beinahe die Augen aus dem Kopf fielen, ich befahl ihr wieder und wieder, auf der Stelle abzuregnen. Einen Augenblick schien sie stehenzubleiben, direkt über mir, vielleicht durch eine plötzliche Flaute. Aber sie schwebte dann unbeeindruckt weiter, bis sie hinter dem Blätterdach verschwand und nur strahlend blauen Himmel

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