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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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wiederholte Sam den Vorgang und warf eine virtuelle Decke über alles, was in der kommenden Viertelstunde auf dem Parkplatz vor sich gehen würde. Dann zog er das Funkgerät aus der Tasche und drückte dreimal den Sprechknopf.
    Bis auf einen kleinen Bierbauch, der ihm über den Krokodilledergürtel hing, war Sam Dreyfus spindeldürr. Er trug sandbraune Chinos und ein weißes Oberhemd, dessen Ärmel er bis zur Mitte der Unterarme hochgerollt hatte. Seine Krokodillederslipper vervollständigten eine Garderobe, die für die meisten Einbrecher eher untypisch war. Das braune Haar trug er seitlich gescheitelt. Seine Augen waren müde und blutunterlaufen, was er im Moment hinter einer dunklen Sonnenbrille zu verbergen suchte.
    Mit seinen neunundvierzig Jahren fühlte Sam sich jung und schrecklich alt zugleich. Der Schatten, den sein Bruder Paul warf, war gewaltig. Von Sam sprach man immer nur als »Pauls Bruder« und vergaß oft sogar seinen Namen. Besonders wütend machte es Sam, wenn jemand sagte: »Ich wusste gar nicht, dass die Dreyfus’ zwei Söhne haben.«
    Von klein auf hatte Sam sich nicht mit Paul messen können, weder in den Augen ihrer Eltern noch in denen Außenstehender. Deshalb hatte Sam sich irgendwann entschieden, immer das genaue Gegenteil von dem zu tun, was sein Bruder tat.
    Sam ließ sich mit schlechter Gesellschaft ein und stellte fest, dass Rauschgift, Alkohol und Prügeleien ihm lagen. Er genoss das rebellische Vergnügen des Augenblicks.
    Mit siebzehn war er nach Kanada geflohen – nicht so sehr, weil er Angst hatte, in den Krieg ziehen zu müssen. Es ging ihm viel eher darum, seinen Vater zur Weißglut zu bringen. Sam war das sprichwörtliche schwarze Schaf der Familie geworden. Aber wenigstens dadurch hatte er eine eigene Identität erlangt.
    Im Laufe der Jahre hatte er sich auf verschiedenen Geschäftsfeldern versucht: Immobilien, Finanzberatung, Marketing. Immer hatte er an der Spitze sein wollen. Er wusste, dass er intelligent war, aber man gab ihm keine Chance.
    Trotz der Fehler und Schwächen Sams hatte Paul stets auf seinen jüngeren Bruder aufgepasst und hatte ihm Arbeit gegeben, wenn er sie brauchte, hatte ihn unbegrenzt auf der Gehaltsliste stehen lassen. Er hatte ihm sogar einen Teil der Firma überschrieben, damit er seinen Kindern etwas hinterlassen konnte. Sams Fehler hatte Paul mit keinem Wort erwähnt. Während ihr Vater von Sam bitter enttäuscht war und ihn mit verbalem Gift und Galle überschüttete, hatte Paul ihn nie offen verurteilt.
    Vor etwa einem Jahr hatte Sam schließlich der Wirklichkeit ins Gesicht gesehen. Sein Haus, sein Leben – alles hing allein von der Gnade seines Bruders ab. Endlich hatte er sich eingestanden, was er stets gewusst hatte: dass er ein Versager war. Paul hatte ihn bloß bemitleidet und deshalb für ihn gesorgt!
    Das ärgerte Sam maßlos; es machte ihn rasend und verlieh ihm neuen Antrieb.
    Er hatte Paul angerufen und ihm gesagt, er wolle arbeiten, wirklich arbeiten, und eine »echte Funktion« in der Firma erfüllen. Von nun an kam er jeden Tag pünktlich ins Büro, arbeitete volle acht Stunden, akquirierte Aufträge und leistete zum ersten Mal in seinem Leben etwas Sinnvolles. Abends war er müde – müder als je zuvor in seinem Leben –, doch mit dieser Müdigkeit kam ein bisher ungekanntes Gefühl der Erfüllung.
    Sechs Monate lang blieb Sams Arbeitseifer bestehen. Daraufhin belohnte Paul ihn, diesmal nicht aus Mitleid, sondern aus Dankbarkeit und Stolz auf seine Leistungen. Sam wurde noch mehr in das Unternehmen integriert, und Paul behandelte ihn als vollwertigen Partner und gewährte ihm vollen Zugriff auf die Aufträge, Techniken und Strategien.
    An einem Mittwochnachmittag im Januar war es dann geschehen – in den dunklen Tagen des Winters. Es war nach sieben Uhr abends gewesen; Sam hatte noch in seinem Büro über Akten gesessen. Dabei stolperte er über den Namen Shamus Hennicot, der mit Reichtum und Großzügigkeit gleichgesetzt wurde. Hennicots Vermögen ging in die Milliarden.
     Paul kümmerte sich persönlich um alles, was mit Hennicot zusammenhing; er unterhielt zu dem alten Mann eine Beziehung, die über das rein Geschäftliche hinausging. Er hatte das Hightech-Schließsystem für Hennicots Washington House selbst entworfen und die Installation persönlich vorgenommen – eine Arbeit, die er gewöhnlich seinen Angestellten überließ. Damit hatte er Sams Neugier geweckt. Sam vergrub sich tiefer in Pauls Akten und erfuhr von den

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