Die 13. Stunde
Taschenuhr erklärt wurde … Nick hörte noch Marcus’ Worte: In den falschen Händen. Er wusste, dass es keine falscheren Hände geben konnte als die von Ethan Dance.
Dance griff wieder in den Korb und nahm den silbernen Christopherus-Anhänger heraus. »Wenn ich wüsste, dass jemand mir etwas gestohlen hätte, das mir wichtig ist – zum Beispiel, weil ich es von meiner Mutter bekommen habe –, wäre ich sehr, sehr wütend.«
Dance schob den kleinen Weidenkorb auf dem Boden unter den Gitterstäben durch. Dann baute er sich drohend vor Nick auf.
»Wo haben Sie die her?«, fragte er und ließ den Christopherus-Anhänger vor Nicks Gesicht baumeln. Wie ein Pendel schwang er vor und zurück. »Waren Sie an meinem Spind? War es Dreyfus? Wie sind Sie an den Anhänger gekommen, verdammt?«
Nick schwieg, während Dance’ Augen in die Ferne blickten.
»Ich habe den Anhänger zum Schulabschluss bekommen«, sagte er, drehte die Medaille um und las die abgegriffene Gravur. »Wunder gibt es wirklich . Meine Mutter hat den Spruch eingravieren lassen, weil mein Alter immer gesagt hat, dass es ein Wunder sei, wenn ich den Abschluss schaffe und es zu etwas bringe. Sie hat mich immer ihren Wunderknaben genannt.«
Einen winzigen Augenblick glaubte Nick, in Dance’ Augen einen Funken Menschlichkeit aufblitzen zu sehen, als der Detective sich die Kette über den Kopf streifte, sodass der Anhänger auf seine Brust fiel und auf Hemd und Krawatte lag, als wäre er ein Orden für herausragende Tapferkeit.
»Ich nehme den Anhänger im Dienst immer ab, weil ich ihn nicht verlieren will. Er ist so ziemlich der einzige Gegenstand auf Erden, der mir etwas bedeutet. Ich bin nicht besonders sentimental, aber dieser Anhänger … Er stellt für mich etwas dar, das Sie nicht verstehen können. Mann, ich sollte Sie umbringen, dass Sie ihn gestohlen haben!«
Dance griff in die Tasche und holte etwas heraus, das er fest in die Hand nahm. »Sie werden mir jetzt sagen, was hier los ist, kapiert? Woher haben Sie den Anhänger?«
Nick antwortete nicht.
Dance starrte auf seine rechte Faust, mit der er umschloss, was er aus der Tasche gezogen hatte. Dann, ohne Vorwarnung, holte er aus, schlug Nick ins Gesicht und schleuderte ihn vom Stuhl.
»Wäre besser für Sie, wenn Sie das Maul aufmachen«, sagte er.
Nick krümmte sich am Boden. Seine Stirn war aufgeplatzt, und Blut schoss aus der Wunde, doch er verkniff sich den Schmerz und hielt den Blick auf die Wanduhr gerichtet.
12.56 Uhr.
»Wie haben Sie das geschafft? Was für ein Spiel treiben Sie mit mir?«, rief Dance. Nick beobachtete, wie er in der kleinen Zelle auf und ab ging. Schließlich blieb er stehen und starrte einen Moment zwischen den Gitterstäben hindurch. Dann drehte er sich um, kauerte sich neben Nick und hielt ihm seine Faust vors Gesicht. Sekunden verstrichen, während die beiden Männer einander anstarrten. Schließlich öffnete Dance die Faust, die Handfläche nach unten, und ließ die Kette aus der Hand rutschen, bis sie ihm von den Fingern baumelte und der Gegenstand in der Luft pendelte.
Der Christopherus-Anhänger war identisch mit dem an Dance’ Hals. Er glich nicht bloß dem Anhänger Shannons, den dieser ebenfalls beim Schulabschluss von St. Christopher’s in Brooklyn erhalten hatte – nein: Dieser Anhänger war eine exakte Kopie jenes Exemplars, das Dance nun über Hemd und Krawatte trug. Jeder Kratzer, jede Schramme – alles stimmte bis ins Kleinste überein. Nick sah es ganz deutlich, als Dance ihm den Anhänger nun vor die Augen hielt. Als das Medaillon sich an der Kette drehte, konnte Nick auf der Rückseite die Inschrift Wunder gibt es wirklich lesen.
»Wie haben Sie das geschafft? Ist das irgendein abartiger Scherz, um mich fertigzumachen? Das haben Dreyfus und Sie sich ausgedacht, stimmt’s?« Verfolgungswahn sprach aus jedem Wort. »Haben Sie vielleicht geglaubt, Sie könnten dumme Spielchen mit mir treiben? Irgendeine verdrehte Art von Magie? Passen Sie bloß auf, Quinn. Shannon wollte Sie gehen lassen, aber ich weiß, wer Sie wirklich sind und was Sie getan haben.«
Nick starrte Dance an.
»Sie arbeiten mit den Dreyfus-Brüdern zusammen, nicht wahr? Sie helfen ihnen, mich zu verarschen.« Dance hielt inne, und ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. »Tja, Ihr Freund Sam Dreyfus ist tot. Soll ich Ihnen sagen, warum? Weil er wusste, dass ich ihn umbringen würde. Denn er ist wie ein Feigling mit der Beute abgehauen, die er uns gestohlen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher