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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Normalerweise hätte ein Mord in einer Stadt, in der seit fünfundzwanzig Jahren niemand mehr umgebracht worden war, die gesamte Polizei mobilisiert, doch der Großteil der Beamten – Streifenpolizisten, Innendienstler, Schreibkräfte – befanden sich an der Absturzstelle. Jeder Feuerwehrmann, jeder Rettungssanitäter und jeder Arzt aus der Gegend war dort. In Byram Hills hatte es noch nie einen Flugzeugabsturz gegeben, im ganzen Bezirk nicht, doch die wohlhabende Gemeinde reagierte, als wäre sie auf Katastrophen spezialisiert. Jeder, der körperlich dazu imstande war, unterstützte das Nationale Amt für Transportsicherheit nach besten Kräften. Ob es darum ging, die Angehörigen der Opfer zu betreuen, nach Trümmern oder Leichenteilen zu suchen oder sich um verwaltungstechnische Details zu kümmern – sämtliche Bürger von Byram Hills halfen tatkräftig, der Katastrophe zu begegnen, die sich nur drei Meilen von ihrem Ort entfernt ereignet hatte. Deshalb waren nur zwei Kriminalbeamte verfügbar, die sich mit Julias Tod befassen konnten.
     
Das Eigenheim von Nick und Julia stand auf einem Grundstück von gut einem Hektar Größe – einem der letzten, die nicht vor dem Verkauf aufgeteilt worden waren. Das Haus stammte aus den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts und hatte 1927, 1997 und 2007 Anbauten erhalten. Das frühere Haupthaus, das einst das weite Ackerland beherrscht hatte, bot 450 Quadratmeter Wohnfläche. Jedes Zimmer war angefüllt mit Bildern und Erinnerungsstücken, die viel über den Charakter ihrer Besitzer verrieten, das Innere aber nicht zum Museum machten, wie man es bei manchen großen Häusern erlebte; es war ein Haus, das für eine Familie gebaut worden war, und Marcus war stets überzeugt davon gewesen, dass es bei den Quinns eines Tages von Kindern nur so wimmeln würde. Doch als er sich nun unter dem gelben Absperrband durchduckte, das die Auffahrt umschloss, die Seitentür öffnete und in die große weiße Küche trat, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass niemals Kinderstimmen von diesen Wänden widerhallen würden.
    Als Marcus das Esszimmer durchquerte, hörte er die Stimmen der Detectives im Eingangsbereich. Er blieb stehen, zögerte einen Augenblick und ging dann zurück, wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen. Und obwohl er es nicht ertragen konnte, Julias Leiche noch einmal zu sehen, verrenkte er sich den Hals, um in den Flur zu spähen, in dem sie lag.
    Der weißhaarige Gerichtsmediziner beugte sich gerade über den schwarzen Leichensack, zog den Reißverschluss hoch, nahm einen schwarzen Faserschreiber und notierte etwas auf den Anhänger des Sackes, was er ohne jede erkennbare Regung tat, als würde er einen Einkaufszettel schreiben. Die schwarzen Augenbrauen des Mannes standen in scharfem Kontrast zu seinem weißen Haar; sein gebeugter Rücken und die runzlige Haut ließ ihn keinen Tag jünger erscheinen als fünfundsiebzig. Marcus konnte sich gut vorstellen, dass an diesem Tag, an dem so viele Menschen in Byram Hills den Tod gefunden hatten, mehr als nur ein paar Ärzte und Gerichtsmediziner aus dem Ruhestand geholt worden waren.
    Marcus konnte die Umrisse von Julias Körper unter dem schwarzen PVC ausmachen. Er stellte sich die morbide Frage, ob ein guter Leichenbestatter die Möglichkeit hätte, ihr Gesicht zu rekonstruieren, damit ihr Ehemann sie ein letztes Mal anschauen und sich endgültig von ihr verabschieden konnte. Der Boden war noch immer voller Blut, die Wand an der Treppe voller Knochenstückchen, durchsetzt mit verklebten Haaren. Doch wegen der immensen Arbeit an der Absturzstelle würde so bald niemand hierherkommen und die schrecklichen Spuren brutaler Gewalt gegen eine Unschuldige beseitigen.
    Aber so sollte es nicht sein. Marcus beschloss, bei der Stadtverwaltung anzurufen, und wenn er schon dabei war, würde er sich auch um die Beerdigung kümmern, denn Nick war in seinem jetzigen Zustand nicht in der Lage dazu.
    »He!« Die Stimme erschreckte Marcus und riss ihn zurück in die Gegenwart.
     »Was tun Sie hier?«, fragte Detective Shannon ungehalten. »Wir haben Ihnen doch gesagt, Sie sollen nebenan bleiben, bis wir hier fertig sind.«
    »Ich dachte …« Marcus blickte sich um. »Ich dachte, Sie wären fertig.«
    »Das hier ist ein Tatort, und wir sind bloß zu zweit. Wir müssen die gesamte Spurensicherung alleine erledigen. Wir sind erst fertig, wenn ich es sage.«
    »Tut mir leid.« Marcus ging zur Küchentür zurück. »Ich bin nebenan.«
    »Wo ist

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