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Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Gesichtsfelds tanzten Sterne. Lichtstrahlen drangen glitzernd durch die Wasseroberfläche über ihm, brachen sich in der Tiefe und beleuchteten den steinigen, schlickbedeckten Grund des Sees.
    Als Wettkampfschwimmer konnte Nick den Atem weit länger anhalten als die meisten Menschen, aber er wusste nicht, wie lange seine Lunge noch durchhalten würde.
    Trotzdem war es nicht der Schmerz, an den er dachte, oder die Plötzlichkeit des unentrinnbaren Todes. Er dachte an Julia. Alles, was gut gewesen war in seinem Leben, alles, was das Leben für ihn lebenswert gemacht hatte, war ihm genommen worden. Er empfand Scham und Schuldgefühle, dass er sie nicht vor ihrem Schicksal hatte bewahren können. Er hatte sich so leicht täuschen lassen, hatte so blauäugig daran geglaubt, dass Fremde ihm helfen würden … nur um von einem Mann, der bezahlt wurde, ihn zu beschützen, in den Tod gestoßen zu werden.
    Nick hing mit dem Kopf nach unten am Gewicht und atmete ständig sehr kleine Luftmengen aus, damit ihm kein Wasser in die Nase drang und er nicht vorzeitig ertrank. Dank des flimmernden Oberflächenlichts konnte er sich endlich orientieren, als ihm irgendetwas gegen den Rücken stieß. Nick drehte sich herum …
    … und starrte in die leeren Augen eines Toten. Die Leiche schwebte mit dem Kopf nach oben im Wasser und tanzte träge in der Strömung. Die Hände des Toten steckten in Handschellen; seine Beine waren mit Plastikbindern gefesselt, die an einer ähnlichen Eisenplatte befestigt waren wie die, die Nick unter Wasser hielt.
    Drei Meter dahinter entdeckte Nick einen weiteren Toten. Er konnte ihn nicht gut sehen, doch die Uniform, der hagere Körper und das rote Haar des Mannes ließen erkennen, dass es sich um einen Polizisten handelte.
    Dank der weißen Lichtspeere, die das Wasser durchstachen, sah Nick schließlich die Umrisse eines dritten Toten in einem blauen Hemd. Sein langes Haar wogte geisterhaft in der Strömung.
    Nick schließlich die Umrisse eines dritten Toten in einem blauen Hemd. Sein langes Haar wogte geisterhaft in der Strömung.
    Nick war auf einem Friedhof, auf der Leichendeponie eines Serienmörders.
    Er begriff augenblicklich, weshalb Dance von einem Déjà-vu gesprochen hatte.
    Der Mann unmittelbar neben ihm war noch nicht lange tot. Seine grässlich verdrehten Augen quollen hervor; die Haut um das eine Auge war geschwollen und blau-schwarz gefärbt. Sein Mund war schlaff, die Unterlippe aufgeplatzt, als wäre eine Faust darauf geschmettert worden. Er hatte graues Haar, das um sein Gesicht trieb wie sanft wogendes Gras.
    In Nicks Lunge begann es zu brennen. Die Luft ging ihm aus. Er schätzte, dass er inzwischen eine Minute unter Wasser war. Noch vierzig oder fünfzig Sekunden, und er würde das Bewusstsein verlieren.
    Rasch ergriff er das Drahtseil, das ihn mit dem Todesanker verband, und zog sich nach unten. Er packte den Mann neben sich beim Gürtel, griff ihm mit der gefesselten rechten Hand in die Tasche, zog seine Brieftasche heraus und hielt sie fest, als könnte sie ihn irgendwie retten.
    Doch seine Lunge schrie nach Luft, und sein Kopf pochte mit den letzten Schlägen seines immer schwächeren Herzens. Er war nun mehr als zwei Minuten ohne Sauerstoff, und es gab keinen Zweifel, dass er sich bald dem verführerischen Ruf des Todes ergeben würde.
    Ein letztes Mal dachte er an Julia, an ihre Schönheit, ihre Sanftheit, und was er mit ihr verlieren würde, weil …
    Weil er versagt hatte.

 
     
     
     
    J ulia saß in ihrem Geländewagen auf der Zufahrt eines bescheidenen Hauses mit Halbgeschoss in Pound Ridge. Wie viele Einwohner von Byram Hills war Julia an den Absturzort geeilt, um zu helfen, sobald sie von dem Unglück gehört hatte. Doch als ihr Blick auf die Überreste der Maschine des Fluges 502 fiel und ihr klar wurde, dass es das Flugzeug war, mit dem sie hätte fliegen sollen, sah sie immerzu die Gesichter der Passagiere vor sich, die neben ihr gesessen hatten, und musste daran denken, wie knapp sie selbst der Katastrophe entronnen war.
    Statt an der Absturzstelle zu arbeiten, meldete sie sich freiwillig, als jemand gesucht wurde, einen Arzt abzuholen, den man aus dem Ruhestand gerufen hatte, um an der Absturzstelle zu helfen. Eine halbe Stunde früher war Julia nach Bedford gefahren, um zu tanken; nun wartete sie vor dem Haus des Arztes, bis dieser seine Utensilien zusammengesucht hatte.
    Während sie allein im Wagen wartete, dachte Julia daran, welches Glück sie heute

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