Die 2 Chance
Jahr nach deiner Geburt gekauft. Er war ungefähr das Einzige, das ich mitgenommen habe, als ich wegging. Ich habe mir immer vorgestellt, dass wir ihn bei deinem Abschluss oder bei deiner Hochzeit trinken würden.«
»Du hast ihn all die Jahre aufgehoben.« Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
Er zuckte die Schultern. »Wie schon gesagt, ich habe ihn für dich gekauft. Aber lassen wir das, Lindsay. Für mich gibt es nichts Schöneres, als ihn heute Abend mit dir zu trinken.«
Ein warmes Gefühl stieg in mir hoch. »Du machst es mir schwer, dich weiterhin so abgrundtief zu hassen.«
»Hasse mich nicht, Lindsay.« Er warf mir die Ledermaske zu. »Die passt nicht. Ich möchte sie nie wieder benutzen.«
Ich führte ihn ins Wohnzimmer und goss ihm ein Bier ein. Dann setzten wir uns. Ich trug einen bordeauxfarbenen Pullover und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Er zwinkerte mir zu.
»Du siehst phantastisch aus, Butterblume«, sagte mein Vater.
Als ich eine finstere Miene machte, lächelte er. »Ich kann mir nicht helfen. Das ist nun mal so.«
Eine Zeit lang unterhielten wir uns. Martha lag neben ihm, als sei er ein alter Freund. Wir plauderten über unwichtige Dinge: wer von seinen alten Kumpels noch bei der Polizei war, über Cat und ihre Tochter, die er noch nicht gesehen hatte, ob Jerry Rice bald aufhören würde. Um Mercer und meinen Fall machten wir einen großen Bogen.
Es war, als träfe ich ihn zum ersten Mal. Er war ganz anders, als ich bisher gedacht hatte. Keineswegs so ein Schwätzer und Angeber, voll von Geschichten, wie ich ihn in Erinnerung hatte, sondern bescheiden und reserviert. Beinahe zerknirscht. Und er hatte immer noch Sinn für Humor.
»Ich muss dir etwas zeigen«, sagte ich und ging zum Wandschrank in der Diele. Ich kam mit einer Baseballjacke der Giants aus Satin zurück, die er mir vor über fünfundzwanzig Jahren geschenkt hatte. Die Zahl 24 war eingestickt, und vorn stand der Name Mays.
Mein Vater blickte völlig überrascht drein. »Die hatte ich völlig vergessen. Ich habe sie neunzehnhundertachtundsechzig vom Technischen Leiter bekommen.« Er hielt die Jacke mit ausgestreckten Armen vor sich und betrachtete sie ziemlich lange wie ein Relikt, das plötzlich seine Vergangenheit zum Leben erweckt hatte. »Hast du eine Vorstellung, was das Ding heutzutage wert ist?«
»Ich habe es immer als mein Erbe betrachtet«, antwortete ich.
Ich machte gegrillten Lachs mit Ingwer-Miso-Soße, Bratreis mit Paprika, Lauch und Erbsen. Ich erinnerte mich, dass mein Vater liebend gern Chinesisch aß. Wir öffneten den ’65er Latour. Es war ein Traumwein, wie Seide. Wir saßen im Erker, von dem aus man auf die Bucht hinausschaute. Mein Vater erklärte, es sei der beste Wein, den er je getrunken habe.
Das Gespräch wechselte zu persönlichen Dingen. Er fragte mich, welchen Typ Mann ich geheiratet hatte. Ich gestand ihm, dass es leider jemand wie er gewesen war. Er fragte, ob ich ihn nicht mochte, und ich musste ihm die Wahrheit sagen: »Doch, sehr, Dad.«
Und dann kamen wir auch auf meinen Fall zu sprechen. Ich sagte ihm, wie schwierig die Ermittlungen seien, dass ich mir Vorwürfe machte, weil ich ihn nicht knacken konnte, wie sicher ich war, dass es sich um einen Serienmörder handelte, aber dass ich nach vier Morden immer noch nichts Beweiskräftiges in Händen hielt.
Wir redeten noch drei Stunden lang, bis elf Uhr. Die Flasche Wein war leer, Martha schlief zu seinen Füßen. Ab und zu musste ich mir vergegenwärtigen, dass ich tatsächlich mit meinem Vater redete und ihm zum ersten Mal als Erwachsene gegenübersaß. Und allmählich begann ich zu verstehen. Er war ein Mann, der Fehler gemacht hatte und für diese bestraft worden war. Er war nicht länger jemand, den ich blind ablehnen oder hassen konnte. Er hatte keinen Menschen umgebracht. Er war nicht Chimäre. Nach dem Niveau, mit dem ich es täglich zu tun hatte, waren seine Sünden verzeihbar.
Allmählich vermochte ich die Frage nicht mehr zurückzuhalten, die ich ihm seit so vielen Jahren hatte stellen wollen. »Ich muss die Antwort wissen. Warum hast du uns verlassen?«
Er trank einen Schluck Wein und lehnte sich auf der Couch zurück. Seine blauen Augen schauten traurig. »Es gibt nichts, was ich sagen könnte, das für dich Sinn macht. Nicht jetzt… du bist eine erwachsene Frau. Du arbeitest bei der Polizei. Du weißt, wie es so läuft. Deine Mutter und ich… sagen wir mal, wir haben nie gut zueinander gepasst. Ich
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