Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
wohl auf Merles Einladung reagieren würde, und ob sie überhaupt bemerken würde, wie sehr er gewachsen war und sich verändert hatte. Ich wünschte, sie würde ihn schlicht in Ruhe lassen, aber ich wusste nicht, wie ich sie darum hätte bitten sollen, ohne sie erneut zu verletzen. Offensichtlich wollte Chade, dass sie mir wohlgesonnen war. Was das Warum betraf, so würde ich ihn später noch aushorchen. Jetzt half ich Merle erst einmal in den Sattel und lächelte zu ihr hinauf, als sie zu mir hinunter schaute. Als sie mein Lächeln erwiderte, erkannte ich, dass ich sie tatsächlich vermisst hatte. Ich war froh, dass ihr Zorn gegen mich endlich verflogen war. Dann hätte sie fast alles wieder ruiniert, als sich ihr Lächeln in ein Grinsen verwandelte, und sie sagte: »Nun. Sag mir die Wahrheit, und vergiss die letzte Beleidigung, die ich dir an den Kopf geworfen habe. Zieht Fürst Leuenfarb wirklich Jungen den Mädchen vor? Ist das der Grund, warum die Damen so wenig Erfolg bei ihm haben?«
Es gelang mir, mein Lächeln zu bewahren. »Soweit ich weiß, zieht er es schlicht vor, allein zu schlafen. So wild er auch flirten mag, ich habe morgens noch niemanden aus seinem Bett werfen müssen.« Ich hielt inne und fügte dann mit leiser Stimme etwas hinzu, wofür ich mich selber hasste. »Ich nehme an, der Mann ist extrem diskret. Ich bin nur sein Leibwächter, Merle. Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich alle seine Geheimnisse kenne.«
»Oh«, erwiderte sie. Sie war sichtlich enttäuscht, dass ich nur so wenig zur Gerüchteküche beitragen konnte. Barden gierten immer nach jedem noch so kleinen Skandal. Merle hatte oft zu mir gesagt, dass man aus Gerüchten die besten Lieder machen konnte. Ich dachte, sie würde jetzt losreiten, doch sie überraschte mich erneut. »Nun denn. Was machst du selbst dieser Tage?«
Ich seufzte. »Ich ahme meinen Herrn nach – und schlafe alleine, danke.«
»Das musst du nicht«, bot sie mir an und hob die Augenbrauen.
»Merle«, warnte ich sie.
»Oh, na schön«, lachte sie, und ich sah, dass meine Antwort sie auf eine seltsame Art beruhigt hatte. Sie war nicht ersetzt worden. Indem ich ihr Angebot ablehnte, war ich gezwungen, ohne zurechtzukommen. Ich nehme an, das hat ihr gefallen. Sie warf mir einen Kuss zu und ritt davon. Ich schüttelte den Kopf, als ich ihr hinterher blickte, und machte mich wieder auf den Weg den Berg hinunter.
Ein paar Minuten später kam Gentil Bresinga an mir vorbei. Auf der steilen, verschneiten Straße war er recht schnell in Richtung Burgstadt unterwegs. Ich bezweifele, dass er mich erkannt hat, und selbst wenn, wäre ihm das vermutlich egal gewesen. Aber er ritt ohne Handschuhe und Kopfbedeckung, und sein Mantel flatterte hinter ihm, als hätte er die Burg in großer Eile verlassen. Hatte das etwas mit der Weigerung des Prinzen zu tun, heute Morgen mit ihm auszureiten? Musste er jemanden von dem gescheiterten Plan in Kenntnis setzen? Ich murmelte einen Fluch vor mich hin und eilte ihm durch den Schnee hinterher, doch er war bereits außer Sichtweite verschwunden.
Außer Atem blieb ich stehen und keuchte. Ruhig, ermahnte ich mich selbst. Ruhig. Ich konnte unmöglich wissen, was wirklich mit Gentil los war. Ich würde bei meinem ursprünglichen Plan bleiben und Lutwin suchen. Dabei würde ich vermutlich auch herausfinden, wohin Gentil geritten war.
Mein erster Halt in Burgstadt war der Wochenmarkt. Ich kaufte einen roten Schal und ein ordentliches Gürtelmesser. Überall erkundigte ich mich beiläufig, wo ich wohl frisches Ziegenfleisch kaufen könnte, das mein Herr für eine jamailianische Mahlzeit brauchte, auf die er plötzlich Hunger verspürte. Ich erhielt eine Reihe von Vorschlägen, doch die meisten bezogen sich auf Ziegenhirten in den Hügeln um Burgstadt. Nur zwei lebten in der Stadt, und nur einer davon nahe der Straße der Schmiede.
Der kurze Wintertag neigte sich bereits seinem Ende zu, als ich mich auf den Weg in Richtung Schmiedestraße machte. Das schwächer werdende Licht kam mir gelegen. Der empfohlene Ziegenhirt hielt sich nur wenige Tiere, und die auch mehr wegen der Milch als wegen des Fleisches. Dank des Geruchs war sein Haus leicht zu finden. Leise näherte ich mich im Dämmerlicht dem Gebäude. Durch ein Fenster sah ich eine Familie mit drei Kindern, die sich auf den Abend vorbereitete. In dem Schuppen hinter ihrem Haus befand sich ein Dutzend Ziegen. Käse hingen unter den Deckenbalken. Das auffälligste Tier war ein alter
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