Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
hat, schmerzt nun nach einem Abend mit der Feder. Wenn ich die Spitze säubere, frage ich mich oft, wie viele Eimer Tinte ich in meinem Leben verbraucht habe. Wie viele Worte habe ich auf Papier oder Pergament gebracht und geglaubt, damit die Wahrheit einzufangen? Und von diesen Worten, wie viele davon habe ich als falsch oder wertlos den Flammen überantwortet? Ich tue, was ich so viele Male getan habe: Ich schreibe, ich streue die feuchte Tinte ein, ich denke über meine Worte nach und verbrenne sie dann. Vielleicht steigt dann die Wahrheit als Rauch durch den Kamin empor. Ist sie auf diese Art zerstört, oder wird sie so freigelassen? Ich weiß es nicht.
Ich habe an dem Narren gezweifelt, als er mir erklärt hat, die Welt sei ein einziger großer Kreislauf, und wir wären dazu verdammt, die Vergangenheit zu wiederholen. Doch je älter ich werde, desto mehr sehe ich es genauso. Damals dachte ich, er meine, ein großer Kreis würde uns alle gefangen halten. Stattdessen glaube ich, dass wir alle in unsere eigenen Kreisläufe hineingeboren sind. Wie ein junger Hengst am Ende einer Longierleine trotten wir unseren Pfad im Kreis entlang. Wir werden schneller, wir werden langsamer, wir bleiben auf Befehl stehen, und wir beginnen erneut. Und jedes Mal glauben wir, dass der Kreis ein Neuer ist.
Die Erziehung meines Vaters wurde vor all diesen vielen Jahren dem Halbbruder meines Großvaters übergeben, Chade. Mein Vater wiederum gab mich an seine rechte Hand weiter, und als ich selber Vater wurde, habe ich die Sicherheit und Erziehung meiner Tochter dem gleichen Mann anvertraut. Stattdessen habe ich den Sohn eines Anderen aufgenommen: Harm. Prinz Pflichtgetreu, mein Sohn und doch nicht mein Sohn, wurde mein Schüler, und nach einiger Zeit kam Burrichs eigener Sohn zu mir, um von mir das zu lernen, was sein eigener Vater ihm nicht beibringen konnte.
Jeder Kreis erzeugt einen anderen. Jeder Kreis scheint neu zu sein, doch das ist er nicht. Er ist nur der neueste Versuch, alte Fehler zu korrigieren, altes Unrecht wiedergutzumachen und jene Dinge nachzuholen, die wir vernachlässigt haben. In jedem neuen Kreis können wir alte Fehler wieder beheben, aber ich glaube, dass wir auch viele neue machen. Doch was haben wir auch für eine Wahl? Sollen wir die alten Fehler wiederholen? Vielleicht ist der Mut, einen besseren Weg zu suchen, gleichbedeutend mit dem Mut, neue Fehler zu begehen.
BASTEI LÜBBE
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 28342
1. Auflage: März 2004
ISBN: 3-404-28342-2
Original: Golden Fool (The Tawny Man, Book Two) (2002)
Ins Deutsche übertragen von Eva Bauche-Eppers
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungsjahr: 2004
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
BIBLIOTHEK
DER
PHANTASTISCHEN
LITERATUR
Herausgegeben von Stefan Bauer
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