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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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vergelten, seinen Sohn zu unterweisen und mich am Hof um ihn zu kümmern. Ich schloss diesen Gedanken in meinem Herzen ein, um meinen schwankenden Enthusiasmus für die Aufgabe zu stärken, und verließ die Turmspitze. Ich musste noch zu einem anderen Treffen, und die Sonne verriet mir, dass ich bereits zu spät kam.
    Chade hatte bekannt gegeben, dass er den jungen Prinzen nun im Gebrauch der Gabe unterweisen würde. Dafür war ich ihm dankbar und bekümmert zugleich. Die öffentliche Verlautbarung bedeutete, dass sich Prinz Pflichtgetreu und Chade nicht mehr heimlich zu diesem Zweck treffen mussten, und dass der Prinz seinen schwachsinnigen Diener mit zu diesen Unterrichtsstunden nahm, wurde gemeinhin schlicht als exzentrisch betrachtet. Niemand bei Hofe hätte auch nur vermutet, dass Dick der Mitschüler des Prinzen war und zudem noch weit stärker in der ererbten Magie der Weitseher als jedes lebendes Mitglied der königlichen Familie. Mein Kummer rührte aus der Tatsache, dass ich, der wahre Gabenlehrer, der einzige war, der es noch immer verbergen musste, wenn er zu diesen Treffen ging. Ich war jetzt Tom Dachsenbless, und dieser einfache Gardist hatte mit der Weitsehermagie nichts zu schaffen.
    Ich stieg die Treppe vom Königinnengarten hinunter und eilte dann durch die Feste. In den Dienerquartieren gab es sechs verschiedene Eingänge zu dem verborgenen Spionagelabyrinth, das sich durch die Eingeweide der Bocksburg schlängelte. Ich achtete sorgfältig darauf, dass ich jeden Tag einen anderen Zugang benutzte. Heute wählte ich jenen nahe der Speisekammer. Ich wartete, bis niemand mehr im Gang war, und betrat die Kammer. Dort schob ich mich an Reihen von der Decke baumelnder Würste vorbei, zog das Paneel auf und schlüpfte in die mir vertraute Dunkelheit.
    Ich verschwendete keine Zeit damit zu warten, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. In diesem Teil des Irrgartens gab es ohnehin kein Licht. Die ersten Male, da ich ihn erkundet hatte, hatte ich eine Kerze mitgeführt. An diesem Tag war ich jedoch zu dem Schluss gekommen, dass ich den Gang inzwischen gut genug kannte, um ihn im Dunkeln zu durchqueren. Ich zählte meine Schritte und tastete mich dann zu einer schmalen Treppe. Oben angelangt bog ich nach rechts ab und sah einen schwachen Lichtschein in den verstaubten Gang ragen. Geduckt lief ich weiter und erreichte kurz darauf einen mir vertrauteren Teil des Labyrinths. Bald darauf verließ ich das Gangsystem durch das Paneel neben dem Herd im Seeturm. Ich schob das Paneel wieder zurück und erstarrte dann, als ich jemanden den Türriegel heben hörte. Mir blieb kaum Zeit, mich hinter den langen Fenstervorhängen zu verstecken, bevor jemand den Raum betrat.
    Ich hielt den Atem an, doch es waren nur Chade, Pflichtgetreu und Dick. Erst als sie die Türe wieder fest hinter sich geschlossen hatten, verließ ich mein Versteck. Dick erblickte mich und fuhr erschrocken zusammen. Chade schien mein plötzliches Erscheinen nicht zu beeindrucken. Er bemerkte nur: »Du hast Spinnweben an der linken Wange. Ist dir das nicht aufgefallen?«
    Ich wischte das klebrige Zeug ab. »Ich bin überrascht, dass sie nur an meiner linken Wange sind. Der Frühling scheint eine ganze Legion von Spinnen geweckt zu haben.«
    Chade nickte ernst. »Ich habe immer einen Staubwedel in die Gänge mitgenommen. Das hat wenigstens etwas geholfen. Natürlich war in jenen Tagen egal, wie ich an meinem Ziel aussah. Ich mochte einfach nicht das Gefühl kleiner Beinchen in meinem Nacken.«
    Prinz Pflichtgetreu grinste bei der Vorstellung, wie der elegant gewandete und gut frisierte Ratgeber der Königin mit einem Staubwedel durch die Gänge huschte. Es hatte jedoch eine Zeit gegeben, da war Lord Chade ein geheimer Einwohner der Bocksburg gewesen, der königliche Assassine, ein Mann, der rein vernarbtes Gesicht verbarg und des Königs Gerechtigkeit im Schatten ausübte. Doch diese Zeiten waren längst vergangen. Heute schritt Chade majestätisch durch die Gänge und ließ sich als Diplomat und treuer Ratgeber preisen. Sein elegantes Gewand aus Blau und Grün spiegelte diesen Status wider, wie auch die Edelsteine, die seinen Hals und seine Ohrläppchen zierten. Sein schneeweißes Haar und seine durchdringenden, grünen Augen ergänzten diese Garderobe nur allzu gut. Die Narben, die ihn einst so bekümmert hatten, waren mit den Jahren verblasst. Ich beneidete ihn weder um diese Pracht noch missgönnte ich sie ihm. Es war nur gerecht,

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