Die 39 Zeichen 02 - Mozarts Geheimnis
unter denen sich die Gräber befanden. Verglichen mit manch anderen berühmten Grabstellen, wirkten diese hier eher schlicht. Es gab auch keine Anzeichen für etwas, das ein Hinweis hätte sein können.
»Man hat dich nicht vergessen, Nannerl«, flüsterte Amy düster. »Die Menschen fangen an, dein Genie unabhängig von deinem Bruder zu würdigen.«
»Was soll dieses Trara um Maria Anna Mozart?«, fragte Dan. »Sie war also genauso gut wie ihr Bruder. Na und?«
»Siehst du nicht, wie unfair das ist?«, fragte Amy. »Sie bekam niemals die Anerkennung, die sie verdiente, nur weil sie ein Mädchen war.«
»Okay«, sagte Dan. »Sie hatte es nicht leicht. Aber nun liegt sie seit ein paar 100 Jahren in dieser Gruft. Was macht es da noch für einen Unterschied?«
»Für mich macht es einen Unterschied«, erwiderte Amy. »Was wäre, wenn wir die Mozartgeschwister wären? Wie, glaubst du, würde ich mich fühlen, wenn du als Wunderkind angesehen würdest, während ich ein Niemand wäre, obwohl wir gleich gut in den gleichen Sachen wären?«
Ihr Bruder ließ sich nicht beirren. »So etwas könnte uns niemals passieren. Es gibt überhaupt nichts, worin wir zwei gleich gut sind. He, was ist das?«
Die Arkaden, mit den darunter liegenden Gräbern, lehnten sich an eine blanke Felswand. Darüber war die Umrisslinie eines Gebäudes in den Fels gehauen worden. »Wer baut denn ein Haus mitten in eine Steilwand?«
Bei genauerer Betrachtung fanden sie einen Aufgang, der ebenfalls direkt in den Stein gemeißelt worden war und zu einem höhlenartigen Eingang führte.
Amy blätterte die Broschüre durch. »Hier ist es. Das ist der Eingang zu den Salzburger Katakomben.«
»Katakomben?«, wiederholte Dan beklommen. In Paris hatten sie damit weniger gute Erfahrungen gemacht. Er war nicht so scharf auf eine Wiederholung dieses Erlebnisses.
»Na ja, nicht die Art, die mit Knochen ausgelegt ist«, erklärte ihm Amy. »Aber hier steht, dass in dem Hügel Tunnel sind. Wenn es hier also irgendeinen Hinweis gibt, dann wette ich, finden wir ihn dort.«
Eine Besuchergruppe kam in Sichtweite, die sich langsam den felsigen Aufgang hinaufschlängelte. In der Mitte des Pulks erkannten sie die hoch aufgeschossene Gestalt Alistair Ohs.
»Und die Konkurrenz hat uns gerade überholt«, fügte Dan hinzu.
Sobald die Gruppe um Onkel Alistair in der Felswand verschwunden war, rasten die Cahills die Steinstufen empor.
Amy verspürte ein gruseliges Unwohlsein, als sie in den Schatten des Berges hineintrat - als würden sie von einem riesigen, stillen Geschöpf verschluckt, das so alt war wie die Erde selbst. Amy und Dan tauschten einen ängstlichen Blick aus. Die Pariser Katakomben waren mit menschlichen Gebeinen angefüllt gewesen, groteske Schädel, die
sie aus allen Richtungen angegrinst hatten. Diese mochten vielleicht, was den Ekelfaktor betraf, weniger schlimm sein. Doch das Gefühl, das Vertraute gegen das Absonderliche und Bedrohliche einzutauschen, war hier sogar noch stärker.
Die Luft im Tunnel war feucht und klamm. Es war bestimmt zehn Grad kälter als draußen.
Dan fühlte in seine Tasche und spürte die vertraute Form seines Asthmasprays. Hier war sicher einer der ungünstigsten Orte der Welt, an dem er einen Asthmaanfall bekommen konnte.
Beruhige dich , befahl er sich selbst. Seine Anfälle wurden durch extremes Pollen- oder Staubaufkommen ausgelöst und nicht durch extremen Grusel.
Zu ihrer Linken befand sich eine kleine Höhlenkapelle, die auch bei Familie Feuerstein hätte stehen können. Darin drängelte sich die Gruppe um Onkel Alistair, als die Geschwister vorbeieilten und dabei ihre Gesichter verbargen.
Je weiter sie sich vom Eingang entfernten, desto dunkler wurde es. Der Gang war nur durch eine Reihe schwacher Glühbirnen beleuchtet, die so weit voneinander aufgehängt waren, dass dazwischen alles in Finsternis versank.
Als sie weitergingen, kam ihnen eine zweite Besuchergruppe entgegen. Blasse, von oben beleuchtete Gesichter verschwanden in der Dunkelheit, nur um nach zehn Metern wieder aufzutauchen. Alles schien unwirklich - als wären die Naturgesetze an diesem fremdartigen Ort außer Kraft gesetzt worden.
»Halten Sie sich rechts«, befahl der Fremdenführer und steuerte seine Gruppe dicht um Amy und Dan herum.
Sie wurden von Ellbogen und Schultern angerempelt, und jemand trat Amy auf den Zeh, sodass sie scharf die Luft einsog - vielleicht war ihr Keuchen aber auch eine Reaktion auf den Mann, den sie im Schein
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