Die 39 Zeichen 06 - Gefahr am Ende der Welt
spielte mit ihrem goldenen Armband und widmete dann ihre ganze Aufmerksamkeit ihren Fingernägeln.
Irina bestaunte Isabels sorglose Gleichgültigkeit. Als sei ihre Maniküre das Wichtigste auf der ganzen weiten Welt. Sie kannte Isabel lange und gut genug, um zu wissen, dass ihr die Nagelpflege zwar enorm wichtig war, dass ihr aber auch viel daran lag, nutzlose Sachen loszuwerden.
Isabel hatte einige ihrer besten Tricks angewandt, um ihren Verwandten Angst einzujagen. Bald würde sie ihr wahres Gesicht zeigen. Irina spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Es ist ein langer Weg gewesen, dachte sie . Und jetzt kann ich endlich das Ende sehen.
Neunzehntes Kapitel
»Robert Cahill Henderson war ein hervorragender Chemiker«, las Amy vor. »Er war zudem mit einer Cousine der englischen Königin Victoria verlobt. Mit den Theorien von Darwin kannte er sich bestens aus. Deshalb hat die Suchmaschine auch so viele Ergebnisse dazu geliefert. Das ist faszinierend.«
»Ja ja. Weck mich, wenn du damit fertig bist«, gähnte Dan. Er lag auf einem der beiden Betten in Kens Gästezimmer, den Schrank im Blick. »Sicher, dass die Schlange eingefangen wurde?«
»Ja. Also, jedenfalls löste er eines Tages plötzlich seine Verlobung – das war damals ein ganz schöner Skandal – und verschwand in Richtung Südsee. Angeblich wollte er Darwins Theorien weiter erforschen. Aber er war doch kein Biologe, sondern Chemiker«, fügte sie nachdenklich hinzu. »Seltsam.«
»Wenn du meinst«, sagte Dan abwesend. »Wann kommt denn endlich der spannende Teil?«
»Er hat die indonesischen Inseln bereist und sich schließlich auf einer von ihnen niedergelassenen, um sich seinen Experimenten zu widmen. Er soll 1883 beim Ausbruch des Krakatau ums Leben gekommen sein.«
»Kra-ka-was?«
»Krakatau«, wiederholte Amy. »Zu der Zeit gab es einen verheerenden Vulkanausbruch. Das heißt, es waren sogar mehrere.
Der Berg ist praktisch implodiert. Die Folge waren gewaltige Tsunamis, große Flutwellen, die etwa 36 000 Menschen das Leben gekostet haben. Die letzte Explosion hat man sogar bis nach Australien gehört. Die Staubwolke, die aus ihm aufgestiegen ist, hat sogar noch in den USA für spektakuläre Sonnenuntergänge gesorgt.«
»Jetzt kommst du so langsam zum coolen Teil.«
»Das ist es! Die umgedrehte Eistüte!«, rief Amy aufgeregt. »Das sollte ein Vulkan sein! Er hat den Krakatau gezeichnet. Aber warum hat er so plötzlich seine Verlobte verlassen und ist nach Indonesien abgereist? Dafür muss es doch einen Grund gegeben haben.«
»Klar«, sagte Dan. »Er war ein kluger Junge. Er musste sich entscheiden: heiraten oder faul am Strand liegen. Auch wenn er etwas Pech hatte mit dem Vulkanausbruch, aber der Bursche hat eindeutig die richtige Entscheidung getroffen.«
»Er muss während des Ausbruchs also in der Nähe des Krakatau gewesen sein. Er konnte aber gerade noch entkommen«, überlegte Amy. »Und irgendwie ist er dann in Sydney gelandet. Seitdem suchen die Cahills und die Madrigals nach ihm. Warum?«
Wenn ihr etwas findet, gehört es uns allen. Wenn ihr es für euch behaltet, seid ihr Diebe. So einfach ist das.
Es war merkwürdig. Dans Gesicht war direkt vor ihr, aber für einen kurzen Moment war sie weit weg.
Sie stand da in ihrem Nachthemd und hörte den Erwachsenen zu.
»Erde an Amy!« Dan schien meilenweit entfernt.
Als die Leute gingen, war sie noch wach. Sie hörte, wie die Haustür
ins Schloss fiel, und sah aus dem Fenster, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich weg waren. Doch sie blieben direkt unter ihrem Fenster stehen. Sie beugte sich etwas nach vorne, damit sie sie sehen konnte. Doch sie erhaschte nur einen kurzen Blick auf ihre Köpfe.
»Immer mit der Ruhe«, sagte die wunderschöne Frau. »Wir wissen, was wir wissen wollten. Sie haben ihn in Australien gefunden. Wir müssen uns noch heute Nacht darum kümmern.«
Ihre Schuld.
Ihre Schuld.
»Amy? Hallo?« Dan musterte sie eindringlich. »Mal ernsthaft, ist alles in Ordnung?«
Sie blickte in das Gesicht ihres Bruders. Es war blass und wirkte besorgt. Auch wenn er alles daransetzte, sich das nicht anmerken zu lassen. Der Asthmaanfall hatte ihn jede Menge Kraft gekostet, aber er tat so, als wäre nichts gewesen. An den dunklen Augenringen konnte sie ablesen, wie erschöpft er in Wirklichkeit war.
»Mir geht es gut«, log sie.
»Also, wohin jetzt?«, fragte Dan. »Zurück nach Sydney?«
Sie räusperte sich. Ihre Stimme klang in ihren Ohren heiser.
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