Die 39 Zeichen 08 - Die Entführung am Himalaya
Jonah drehte sich zu seinem Vater um. »He, Paps! Besorg meinem Cousin hier was zum Schlafen. Nicht zu billig. Ich will eine Superabsteige, kapiert?«
Wenig später lag Dan zwischen den Seidenlaken des gigantischen King Size Betts seiner eigenen Suite und lutschte genussvoll das Bonbon, das ihn auf dem Kissen erwartet hatte. Geil war wirklich das richtige Wort hierfür: Fünf-Sterne-Hotel, Designereinrichtung, Ein-Meter-fünfzig-Plasmafernseher. Es fehlte nur eines …
Dan vermisste das Geräusch von Amys Atem. Er ging immer ein kleines bisschen zu schnell, beschleunigt von den nervösen Träumen einer Weltmeisterin im Schwarzsehen. Kaum hörbar, aber für ihren Bruder unverkennbar wie eine Polizeisirene.
Amy – ob es ihr gut ging?
Wenn ich entführt worden bin, ist sie vielleicht auch in Gefahr…
Dans Entführung ging auf das Konto von Ian und Natalie. Die Kabra-Kinder waren schon schlimm genug, aber was war, wenn Amy Besuch von deren Mutter erhalten hatte? Isabel, der Mörderin …
Sei nicht albern! Alles ist in Ordnung. Du hast Jonah doch gehört: Sie finden Amy morgen.
Dan kam der Gedanke, dass so, wie die Kabras diesen Muskelmann angeheuert hatten, um ihn zu entführen, die Wizards ihn vielleicht mittels Luxus festhielten.
Aber wenn das stimmt, warum stecken sie mich dann in ein eigenes Zimmer, wo ich tun und lassen kann, was ich will?
Er stand auf, öffnete die Tür und spähte rechts und links den Gang entlang. Da war kein Broderick Wizard, der seine Suite beobachtete, während er die eine oder andere SMS in sein Blackberry tippte. Kein Lakai von der Plattenfirma. Dan könnte jederzeit gehen – wenn er nur wüsste, wohin.
Was er aber wirklich kaum glauben konnte, war die Behauptung, dass Jonah die Sache mit den Krokodilen leidtat und dass er es wiedergutmachen wollte.
»Vertraut niemandem«, hatte Grace’ Anwalt William McIntyre ihnen zu Beginn der Jagd eingeschärft. Doch Jonah hatte ihn heute mit ausgesuchter Freundlichkeit behandelt. Amy dagegen hatte ihm hasserfüllte Beschuldigungen gegen ihre Eltern entgegengeschleudert. Wenn jemand kein Vertrauen verdiente, dann war sie das.
Dan war sich ziemlich sicher, dass sie überglücklich war, ihn los zu sein. Wahrscheinlich hatte sie keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet, seit er auf dem Platz des Himmlischen Friedens davongelaufen und aus ihrem Leben verschwunden war.
Achtes Kapitel
Amy machte kaum ein Auge zu. Die ganze Nacht lang warf sie immer wieder einen Blick auf die LED-Anzeige ihres Weckers. Wenn sie das nächste Mal mit roten Augen nachsah, waren nie mehr als zehn Minuten vergangen.
Im anderen Bett schlief Nellie ebenfalls unruhig. Sie träumte schlecht und murmelte vor sich hin. Sogar Saladin war rastlos und hatte bis zum Morgen drei Fellbällchen ausgewürgt.
Es war schon nach fünf, als Amy endlich erschöpft einschlief. Sie wurde von Albträumen gequält, in denen ihr Bruder über den dunklen Platz des Himmlischen Friedens irrte. Wo sonst sollte er nach ihr suchen? Und wo war sie? Im warmen Bett.
Es war alles ihre Schuld. Warum hatte sie Dan mit ihren tiefsten Ängsten über Mama und Papa belastet? Kein Elfjähriger könnte so etwas verkraften. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie selbst es schaffen würde.
Nellies aufgeregtes Flüstern drang in ihren Traum ein. »… in Russland waren sie ohne mich unterwegs. Aber diesmal ist es etwas anderes. Dan wusste, dass wir auf dem Platz waren und auf ihn warteten, aber er ist nicht zurückgekommen …«
Amy setzte sich verschlafen auf. »Mit wem redest du da?«
Erschrocken legte Nellie das Hoteltelefon aus der Hand. »Mit eurem Onkel Alistair«, sagte sie rasch. »Das Gespräch wurde unterbrochen.«
Amy runzelte die Stirn. »Nimm es mir nicht übel, aber wir wollen mit Alistair nichts zu tun haben. Er war in der Nacht dabei, in der unsere Eltern umkamen.«
Nellie blieb stur. »Das war damals und jetzt ist jetzt. Du und dein Bruder, ihr seid für die Jagd nach den Zeichen verantwortlich. Aber wenn eins von euch Kindern verschwindet, dann bin ich gefragt. Sprichst du Chinesisch? Ich auch nicht. Wir brauchen jemanden, der es mitbekommt, wenn von einem verloren gegangenen amerikanischen Jungen die Rede ist.«
Amy nickte niedergeschlagen. »Ruf ihn zurück. Danke, Nellie.«
Sie verabredeten sich mit Alistair eine Stunde später im Imperial Hotel. Als sie sich aus dem Hotelzimmer schlichen und Saladin schlafend auf dem Kissen zurückließen, nagte ein winziger Zweifel an Amy.
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