Die 39 Zeichen - Die Rache der Romanows - Band 5
aber sie fand nichts als Mottenkugeln und Fussel.
Da ertönte die gedämpfte Stimme des Museumswärters.
»Wo ist denn deine Schwester?«
»Sie ist schon vorgegangen. Ich glaub, ich lauf ihr lieber hinterher«, antwortete Dan.
Amys Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, während sie weiter nachforschte. Sie war sich nicht sicher, aber es schien, als stünde der Wärter immer noch vor der Tür und überprüfte, ob alles an seinem Platz war.
Was ist das? Sie hatte nach hinten gegriffen und den Saum eines Kinderkleids zu fassen bekommen. Amy kroch auf Händen und Knien tiefer in den Schrank und hielt dabei den kleinen Klumpen, den sie entdeckt hatte, fest umklammert.
Gerade in diesem Moment drehte sich der Knauf an der Schranktür und die Tür ging auf. Amy blieb vollkommen reglos hocken, versteckt in einem Wald aus Mänteln und Kleidern. Sie erkannte die Umrisse des Wärters.
»Könnte ich mir vielleicht die Eisenbahn einmal näher ansehen? Ich bin ein großer Modellbahnfan.«
Das war Dan, der gerade noch rechtzeitig in das Spielzimmer zurückgekehrt war.
»Natürlich«, erwiderte der Wärter. »Aber davor muss ich erst noch die anderen Kinder finden. Kinder gehören wirklich an die Leine!«
Die Schranktür schloss sich wieder und Amy atmete erleichtert auf. Sie riss am Saum des Kleides und hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie einen so wertvollen Stoff zerstören musste. Womöglich hatte Prinzessin Anastasia selbst das Kleid getragen. Allein der Gedanke daran ließ ihre Hände zittern.
»Ich hab’s!«, freute sie sich, als sie den glatten Stein zwischen ihren Fingern spürte. Sie steckte ihn in die Tasche, kroch zur Schranktür und lauschte. Es schien niemand mehr da zu sein.
»Dan?«, flüsterte sie, öffnete die Tür einen winzigen Spalt und lugte ins Zimmer. Da wurde die Tür weit aufgerissen, Amy fiel nach vorn und landete höchst unsanft auf dem Boden. Beinahe wäre sie in eines der fein möblierten Spielhäuser gefallen.
»Ich wusste es!«, schimpfte der Museumswärter.
Jetzt trat Dan in Aktion und sprang auf den Stofftier-Schäferhund. »Los, Bello!«, rief er. Amy traute ihren Augen nicht. Ihr Bruder war wirklich immer bereit, sich zum Affen zu machen.
Der Wärter stampfte wutentbrannt auf Dan zu. Amy nutzte die Gelegenheit und hastete zur Tür. Sie rannte so schnell sie nur konnte. »Los, Dan!«
Sie musste nicht lange auf ihn warten.
»Lauf!«, schrie Dan.
Amy und Dan schossen die Treppe hinunter, dicht gefolgt vom Museumswärter.
»Bleib bloß nicht stehen, Amy! Renn weiter!«, keuchte Dan. Drei andere Museumswärter kamen nun aus den verschiedensten Richtungen angelaufen, aber Dan und Amy schafften es gerade noch vor ihnen zur Eingangstür des Palastes. Sie flohen in die strahlende russische Morgensonne und liefen immer weiter.
»Lasst euch hier nie wieder blicken!«, brüllte der Museumswärter, den sie überlistet hatten. »Diese Kinder treiben mich noch in den Wahnsinn!«
Amy und Dan wurden langsamer und schnappten nach Luft. Kurz darauf bogen sie sich vor Lachen.
»Ich hab was Süßes gefunden«, sagte Amy. »Hier, für dich.«
Sie hielt ihm die weiße Mottenkugel hin, aber Dan fiel nicht darauf herein.
»Probier du zuerst!«
Amy holte aus und warf die Mottenkugel in den Teich. Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben ein Auto gelenkt, die Kleider einer Prinzessin berührt und den nächsten Hinweis gefunden – es war ein wirklich guter Morgen gewesen, absolut.
Neuntes Kapitel
Irina Spaskys Daumen schwebte über den Tasten ihres Telefons. Sie brachte es nicht über sich, die Nummer zu wählen. Also holte sie tief Luft und steckte dann ihr Handy zurück in die Tasche ihres dünnen schwarzen Mantels. Die Kabras können warten , beschloss sie und wandte sich vom Alexanderpalast ab. Irina lief, wie immer allein, zum Teich auf der anderen Seite des Geländes.
Sie hatte beobachtet, wie Dan und Amy den Palast betreten und später auch wieder verlassen hatten, indem sie zurück zu ihrer neu erworbenen blauen Schrottkarre gerannt waren. Die beiden hatten gelacht . Diese Tatsache ließ Irina keine Ruhe. Sie waren glücklich, diese Kinder. Sie stiegen in ihr kleines Auto, setzten einfach ihre Suche fort und brachten Irina damit in ernste Schwierigkeiten. Ein Doppelagent der Lucians. Vielleicht ein Madrigal.
Sie hatten etwas gefunden, so viel war sicher. Ihre Situation war heikler, als ihnen bewusst war.
Es muss ihnen ja nichts passieren , versuchte sie sich
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