Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
bestimmt, wem der Führungsanspruch gebührte. Eine klare Abgrenzung der beiden, wie wir sie heute als Trennung von Staat und Kirche kennen, war damals undenkbar.
Das zentrale Dokument, mit dem das Papsttum über Jahrhunderte seine Vormachtstellung auch gegenüber dem Kaiser zu legitimieren suchte, wenn es ihm geboten schien, war die sogenannte Konstantinische Schenkung. Sie besagt, dass Kaiser Konstantin I. der Große (gest. 337) zum Dank für die empfangene Taufe und für eine Heilung vom Aussatz Papst Silvester I. und dessen Nachfolgern ein höchst großzügiges und umfangreiches Geschenk zukommen ließ: Dieser erste römische Kaiser christlichen Glaubens verlieh den Päpsten kaiserliche Würde, zeichnete sie aus als »Haupt und Spitze aller Kirchen in der ganzen Welt« und übergab ihnen die Herrschaft über die heilige Stadt Rom sowie »alle Provinzen, Räumlichkeiten und Städte Italiens und des Westens«. Konstantin habe seine Residenz nach Byzanz verlegt, das fortan Konstantinopel hieß (das heutige Istanbul), weil es nicht statthaft gewesen wäre, dass der irdische Kaiser andem Ort herrschte, wo Gott das Haupt der Christenheit eingesetzt habe. Feierlich verpflichtete Konstantin in der Urkunde seine Nachfolger, sich an diese Regelung zu halten.
Konstantin ist als Gründer von Konstantinopel und als Förderer des Christentums in die Geschichte eingegangen. Mit ihm nahm die bis heute wirksame christliche Prägung des Abendlandes ihren Anfang. Seit 312 wurden die Christen im weströmischen Reich begünstigt und ein Jahr später im Mailänder Toleranzedikt der antiken Religion gleichgestellt. Auf dem Vormarsch war die neue Religion zwar schon seit längerem, aber noch 303 hatte Diokletian die letzte Christenverfolgung verfügt. Konstantin war kein sanftmütiger Mann; wenn es um Machtsicherung ging, schreckte er auch vor Morden im engsten Familienkreis nicht zurück. Bis heute ist umstritten, ob Konstantin das Christentum aus Überzeugung förderte oder aus politischen Gründen − abschließend klären lässt sich das vermutlich nicht mehr. Jedenfalls ließ er sich erst auf dem Totenbett taufen; der Legende nach, weil ihn wegen seiner skrupellosen Machtpolitik arge Schuldgefühle plagten.
Über die Jahrhunderte hat die römische Kurie die Urkunde immer wieder gezückt, um ihren Anspruch der Vorherrschaft innerhalb der Kirche zu untermauern − unter Berufung auf die Apostel Petrus und Paulus, die in Rom den Märtyrertod erlitten hatten. Die beiden sollen Konstantin in einem Traum dazu bewegt haben, sich von Silvester taufen zu lassen, um seinen Aussatz loszuwerden − so die Silvesterlegende, auf die sich die Konstantinische Schenkung beruft. Von ebenfalls enormer Bedeutung waren aber auch die territorialen Ansprüche, die die Päpste aus dem Dokument ableiteten.
Im frühen Mittelalter war Europa ein ausgesprochen unruhiges Pflaster, und die Päpste hatten es nicht leicht, sich auf ihm zu behaupten. Mitte des 8. Jahrhunderts drängten die Langobardenin Richtung Rom, das damals zum Byzantinischen Reich gehörte. Weil Byzanz herzlich wenig unternahm, um Rom vor den gefürchteten Langobarden zu schützen, bat Papst Stephan II. Frankenkönig Pippin um Hilfe. Möglicherweise − wenn man eine Anfertigung um 750 annimmt − kam da das Dokument zum ersten Mal zum Einsatz, aber das ist unter Historikern umstritten. Sicher ist, dass Pippin 754 mit dem Vertrag von Quierzy einwilligte, für das Papsttum in den Krieg gegen die Langobarden zu ziehen, und mit territorialen Zugeständnissen in der »Pippinschen Schenkung« die Grundlage für den späteren Kirchenstaat legte. Der wurde Wirklichkeit, als Pippin in einem zweiten Feldzug die Langobarden endgültig aus Italien vertrieb.
Die Konstantinische Schenkung ist eine der bekanntesten Urkunden der christlichen Welt und zu früheren Zeiten war sie von erheblicher Bedeutung für das römische Papsttum. Die Päpste mussten im Mittelalter immer wieder ihre Machtstellung und den Kirchenstaat sichern, und dafür nutzten sie über Jahrhunderte dieses angebliche Privileg des römischen Kaisers. Mal sollte die Urkunde die Oberherrschaft des Papsttums über den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches legitimieren, mal diente sie als Rechtfertigung von territorialen Besitzansprüchen. Ebenso aber wurden immer wieder Stimmen laut, die den weltlichen Aspekt der Konstantinischen Schenkung kritisierten, weil er die Kirche von ihrer eigentlichen, nämlich nichtweltlichen Aufgabe ablenke.
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